Winterberg-Züschen (51.152367 | 8.564905)
Auf den ersten Blick ist der Winkel, wo die Nuhne ihren Ursprung hat, vor allem ein schöner Platz zum Rasten. Ich setze mich auf eine der breiten Rothaarsteig-Bänke, gemütliche Freiluft-Sofas mit Blick auf einen Brunnen, in dem sich fischschwänzige Nixen tummeln, anmutig-verführerisch, leider aus Bronze. Gepflasterte Wege formen ein merkwürdiges Ypsilon, bei dem der senkrechte Balken in die Höhe verlängert ist. Zwei Bäche fließen links und rechts vorbei, Sonneborn und Ahre, wodurch eine Art Halbinsel entsteht. Ihr verhaltenes Rauschen vereinigt sich zu einem Klang-Kokon, der alle anderen Geräusche dämpft. Wortlose Einladungen, meine Wegzehrung auszupacken, Wanderschuhe auszuziehen und die Füße im Wasser zu kühlen.
Auf den zweiten Blick wird der Ort spannend. Stabile Ringbücher, auf Steinblöcke geschraubt, erzählen Geschichten aus einer langen Geschichte, in denen die Nuhne eine Hauptrolle spielt. Sie markiert seit erdenklichen Zeiten, mindestens aber seit dem Mittelalter, eine Grenze. Damals lebten auf der einen Seite die Sachsen, auf der anderen Seite die Chatten. Nur soviel aus dem Repertoire der Machtpolitik: Man bekämpfte sich und schloss Frieden; mal hatte die eine Seite Oberwasser, mal die andere; Wellen von Zerstörung, unbändiger Wille zum Wiederaufbau. Die Nuhne trennte, denn Flüsse waren damals nicht leicht zu überqueren. Die Nuhne verband, denn von der Quelle bis zur Mündung trug sie den gleichen Namen zum gleichen Wasser. Züschen scheint an einem im Mittelalter wichtigen Verkehrsweg gelegen zu haben, der Alten Landstraße, den Norden und Süden Deutschlands verbindend. Rasteten hier Händler und ganze Heerzüge?
Der dritte Blick macht Unsichtbares sichtbar. Dabei hilft mir Walter Peis, 80 Jahre alt, Ortsheimatpfleger und leidenschaftlicher Hobbyhistoriker. Er kümmert sich um Borgs Scheune, in der die lange Geschichte des Ortes lebendig dargestellt wird. Mindestens 775 Jahre, vielleicht sogar 1225 Jahre, je nachdem, welcher Quelle man glaubt. Peis hat zahlreiche Bücher, Broschüren und Aufsätze verfasst. Wann immer es ihm seine Arbeit als Fotograf erlaubte, betätigte er sich als Spurensucher und Geschichte-Erzähler. „Mich haben schon in der Jugend Fragen umgetrieben: Was war hier in grauer Vorzeit? Woher stammen wir? Was sind unsere Wurzeln?“
Besonders fasziniert ihn die germanischen Mythenwelt. Er ist sich sicher, dass Züschen lange vor der Christianisierung ein heiliger Ort war. Er zeigt auf den Kirchhügel, der das Ortsbild dominiert: „Schauen Sie, von dort aus gesehen liegt der Nuhne-Ursprung auf exakter Linie gen Osten, Richtung Sonnenaufgang. Das hatte für Germanen göttliche Bedeutung.“ Jetzt erklärt er mir auch die Bedeutung der ungewöhnlichen Pflasterung: Das sei kein verfremdetes Ypsilon, sondern das Runenzeichen für den Gott Nun, der dem Fluss möglicherweise den Namen gegeben habe. Nun sei für indo-germanische Stämme der Urgott gewesen, Schöpfer des Universums – einer, der alles aus nichts erschuf.
In vielen alten Flurnamen glaubt Peis die Spur der Götter zu lesen. Für den Winkel, wo die beiden Flüsschen sich vereinigen, habe sich die Bezeichnung „Oskuhle“ erhalten –Hinweis auf den Asgard, Wohnort des Göttergeschlechts der Asen? Peis‘ Stimme zittert ein wenig – vor Ehrfurcht, wie ich zu spüren glaube –, wenn er solche Fragen stellt. Will er, der Heimatdetektiv, nur seine Herkunft in der Zeit zurückzuverfolgen? Oder spielt auch der Wunsch eine Rolle, das eigene Dorf möge eine großartige Vergangenheit haben, die noch heute Bedeutung verleiht? Jedenfalls hat Peis den Zusammenfluss als einen mystischen Ort mitgestaltet. Seine Inszenierung erinnert daran, dass Geschichte einen langen Atem hat. Und dass ihr Verlauf, trotz aller allzu menschlichen Bemühungen, nicht vorhersehbar ist. „Dafür steht auch der Brunnen aus Bronze“, meint Walter Peis, „er zeigt die drei Nornen, die Schicksalsgöttinnen der Germanen. Sie standen für Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Sie lenkten alle Geschicke. Nicht die Menschen selbst.“
Ich setze mich in der Nähe des steinernen Monolithen, der den Nuhne-Ursprung kennzeichnet, und schließe die Augen. Fragen tauchen auf. Was habe ich schon in der Hand? Bin ich bereit, mich in den Fluss namens Leben zu werfen – ohne zu wissen, wohin ich treibe? Kann ich Identitäten aufgeben, so wie Sonneborn und Ahre ihren Namen abgelegt haben, um in der Nuhne aufzugehen? Kann ich Gedanken fließen lassen, ohne zu glauben, ich sei meine Gedanken?
Dieser Ort hat einen Sog, der mich immer tiefer führt. Der vierte Blick geht nach innen. Ich merke: Hier lässt sich gut meditieren.
Autor: Michael Gleich
Michael Gleich
Vanaf het wandelportaal in Züschen gaat het pad linksaf richting Felsenstraße, en na ongeveer 100 m bereik je het ingangsportaal van de Nuhe Ursprung. De kleine lus van de Myten- und Sagenweg is een mooie rondwandeling.
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