Winterberg und Hallenberg

Kahler Asten, Ziegenhelle, Heidekopf und Bollerberg - nirgends sonst im Sauerland gibt es so viele herausragende Aussichtstürme auf so engem Raum. Die steilen Berghänge Winterbergs und Hallenbergs bilden die Grenzen zwischen Wittgenstein, Hessen und dem Sauerland - und von den Türmen auf den Grenzbergen fällt der Blick in alle diese Regionen.

Winterberg und Hallenberg - Grenzgänger Türmetour

Gibt es beliebtere Wanderziele als Aussichtstürme? Vielleicht eine bewirtschaftete Berghütte. Auf dem Kahlen Asten gibt es Gastronomie, einen Turm und von dort führt der Sauerland Höhenflug zu weiteren Höhepunkten.

In Winterberg gehen die Menschen an ihre Grenzen. Eine Bobbahn von Weltklasse, das größte Skikarussell nördlich der Alpen, halsbrecherische Mountainbikepisten - jeder kann hier seine Grenzen austesten. Auch ich bin heute als Grenzgänger unterwegs - zu Fuß entlang der Sauerländer Grenze zu Wittgenstein und Hessen.

Höher als am Startpunkt meiner Tour kann man im Sauerland nicht stehen. Auf dem Langenberg, dem höchsten Berg Westfalens, gibt es keinen Turm und der Funkturm auf der Hunau ist natürlich für Wanderer gesperrt. Somit ist die Aussichtskanzel auf dem Kahlen Asten der höchste Punkt Westfalens, den wir zu Fuß erreichen können. „Das ist schon ein ganz spezieller Arbeitsplatz,“ sagt Gerhard Kappe, Wetterbeobachter beim Deutschen Wetterdienst auf der Wetterwarte Kahler Asten. „Ich bin schon seit 1990 hier auf dem Berg. Die Wanderer schauen mich immer ganz neidisch an, dass ich jeden Tag hier sein darf, wo sie die schönsten Stunden ihres Urlaubs verbringen. Aber wenn man jeden Tag hier morgens um fünf zur Arbeit da sein muss, muss man sich manchmal schon ganz schön durchkämpfen. Im Winter muss ich manchmal das Auto unten an der Hauptstraße stehen lassen. Und hier oben schneit es im Winter viel mehr als in den Tälern. Oder bei Sturm! Da glaubt man, der Turm fliegt gleich weg.“ Der Kahle Asten ist sicherlich kein ganz normaler Arbeitsplatz.

Als ich Gerhard Kappe frage, ob ich wohl mit einem tollen Sonnenuntergang rechnen darf, zuckt er die Schulter: „Wetten würde ich nicht darauf. Da kommen von Westen heute noch ein paar Schauer. Ein kleines Gewitter könnte auch mit dabei sein. Aber genau kann ich das nicht sagen. Wir erheben hier nur die Daten. Die Prognosen werden in Essen und in Offenbach erstellt. Aber wenn Sie einen Tipp haben wollen: Gehen Sie mal den Sauerland Höhenflug bis nach Hesborn und dann hinauf auf den Bollerberg. Bei dieser Wetterlage gibt‘s auf dieser aussichtsreichen Strecke mit Sicherheit tolle Landschaftsbilder.“

Das lasse mir natürlich nicht entgehen. Entlang der Wittgensteiner Grenze geht es zur Ziegenhelle. Ich schaffe es gerade noch in die Schutzhütte davor, um mich vor einem kräftigen Schauer zu retten. Als es wieder trocken ist, ziehen noch finstere Wolken über den Himmel. Gut, dass ich einen Blitz dabei habe. Damit kann ich ein paar geheimnisvolle Bilder vom Turm auf der Ziegenhelle machen. Und plötzlich ist der Himmel wieder blau. Dieser schnelle Wechsel ist natürlich ein Traum jedes Fotografen.

Vom Balkon des Sauerlandes, dem Heidekopfturm über Hallenberg, schaue ich wenig später auf das Grenzland zwischen Sauerland und Hessen. Kultur, Politik, Religion, Sprache - wer Grenzen finden will, findet ausreichend Anlässe dafür, wer Grenzen aufheben möchte, aber auch. In Hallenberg-Braunshausen besuche ich den Hof von Dorle und Albe Schmidt mit einem Rosengarten und einem Kunst-Atelier. Die Grundstücksgrenze ist aufgehoben, der Garten offen für jeden: eine Mischung aus frischen Blüten und Verfall, junge Triebe, die alte Gartenmöbel umwuchern, historische Garten- und Heilpflanzen, alte Obstbäume und ein nur ganz behutsam modernisiertes, uraltes Bauernhaus.

„Unser Garten und Atelier steht jedem Interessierten offen, der an unsere Tür klopft“, erklärt mir Dorle Schmidt. Das muss man übrigens wörtlich nehmen. Die Tür der Schmidts hat keine elektrische Klingel, sondern einen alten Türklopfer. „Hier gibt es so viele Punkte zum verweilen, um mit allen Sinnen einfach herunter zu fahren und sich wieder ganz auf sich selbst zu besinnen. Das wollten wir nicht nur für uns behalten, sondern auch anderen mitteilen.“ Kunstausstellungen, Lesungen und andere Veranstaltungen im Rahmen des Programm des Spirituellen Sommers bilden das Angebot. „Wir sind hier ziemlich an der Grenze des Sauerlandes,“ ergänzt Albe Schmidt, „aber darum geht es ja gerade. Beim Spirituellen Sommer will ja nicht nur ein Dorf alleine etwas anbieten. Man muss das Ganze als Region wahrnehmen, die etwas bietet und verbindet - vor allem auch über ihren Grenzen hinaus.“

Und kreativ geht meine Grenzgänger Wanderung weiter zu wahrscheinlich dem ungewöhnlichsten Aussichtsturm des Sauerlandes: dem Sauerland-Stabil-Stuhl zwischen Hallenberg, Liesen und Hesborn, einem Turm in Form eines riesigen Stuhls. Von diesem interessanten Exemplar auf meiner Türmetour fällt der Blick vor allem auf die sanfte, offene Wiesenlandschaft im benachbarten Hessen. Hinter der Stuhllehne ragt aber ein echter Sauerländer Berg auf, der Endpunkt meiner Wanderung, der Bollerberg.

Gerhard Kappe vom Deutschen Wetterdienst hat mir nicht zu viel versprochen. Als ich auf dem Bollerbergturm stehe, weht mir ein massiver, eiskalter Wind von Nordwesten entgegen. Hinter dem Kahlen Asten baut sich eine dunkelblaue, fast schwarze Wolke auf. „Da kommt was!“ sagen die Sauerländer dazu - und schon fliegen mir die ersten Tropfen ins Gesicht. Aber hinter der Wolke zeigt sich schon wieder ein Streifen goldenen Sonnenlichts und so harre ich aus. Und ich werde für die Standhaftigkeit belohnt: Wie goldener Honig quillt das Sonnenlicht unter der Wolke hervor und fließt in die Täler um Züschen - ein magischer Moment - Bilder von spiritueller Kraft auf dem Grenzgängerweg.

Klaus-Peter Kappest

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