Lennestadt und Kirchhundem

Jeder Quadratmeter Boden des Sauerlandes wurde schon irgendwann von Menschen bearbeitet und gestaltet. Bei manchen fällt das mehr auf als bei anderen. Ganz neu gestaltet ist Tal-Vital - der Kurpark von Saalhausen in Lennestadt - typisch sauerländisch mit heimischen Materialien - kreativ und behutsam als Teil der Natur. Malerisch liegt Saalhausen im Lennetal. Darum herum ist Wald, vor allem im Süden in Kirchhundem, der  waldreichsten Gemeinde Westfalens. So urwüchsig-urwaldig wie im Schwarzbachtal oder bei den Oberhundemer Klippen ist es an diesen außergewöhnlichen Orten vor allem deshalb, weil im Rahmen der naturnahen Forstwirtschaft schon vor Jahren einige Flächen renaturiert wurden.

Lennestadt und Kirchhundem - Wald - Natur - Park geformte Landschaft 

Schwingende Silhouetten bis zum Horizont bedeckt mit Wald - Fichten, Buchen, Tannen, Lärchen, Birken, Ahorn - dazwischen Ginster, Fingerhut und Kräuter. Welch ein Fernblick! Sind wir nicht in einem Urwald?

„Nein, das alles ist vom Menschen gestaltet. Früher waren die Täler voller Sümpfe und die Buchenwälder an den Hängen so voll mit Gestrüpp, dass hier niemand durchgekommen wäre,“ sagt Ranger Ralf Schmidt und ist dabei gar nicht aus der Puste. Ich habe natürlich nur angehalten, um ein Foto zu machen und die heftige Bewegung meiner Brust geht selbstverständlich nur auf meine Begeisterung für den Ausblick zurück. Wir stehen am oberen Ende eines schmalen Serpentinenpfades, der uns durch eine Kathedrale alter Bäume aus dem Krenkelbachtal bei Kirchhundem-Heinsberg zum Rothaarsteig hinaufgebracht hat. Der Ausblick vom Kamm entschädigt vollkommen für den fast alpinen Anstieg.





Ein Ranger sitzt am Rothaarkamm im Gras und fotografiert

Jetzt geht es auf der anderen Seite des Rothaarkamms wieder hinunter ins Schwarzbachtal, einem der 42 Sauerland-Seelenorten. Auf der Brücke über den Bach schwärmt Ralf: „Das hier ist mein Lieblingsplatz. Hier habe ich immer das Gefühl, ich bin ganz bei mir. Ich kann meinen Gedanken nachgehen. Das Umfeld ist schön, die Farben sind schön und vor allem herrscht hier die perfekte Ruhe. Man hört wirklich nur das, was der Wald von sich gibt und nichts anderes. Wenn in der ersten Morgensonne der Nebel aus den Feuchtwiesen aufsteigt - wenn mittags sich die Schmetterlinge auf den Steinen am Bach sonnen - wenn abends die Grillen im hohen Gras zirpen ...“ Keine Straße, kein Ort weit und breit stört die Idylle. Das Schwarzbachtal wurde vor Jahren aufwendig renaturiert. Hier bekommt man eine Idee von der ursprünglichen Naturlandschaft, die das Sauerland mal geprägt hat.

Beim Aufstieg zum Rhein-Weser-Turm erzählt mir Ralf von seinen Aufgaben als einer von zehn Rangern im Landesbetrieb Wald und Holz in Südwestfalen. Er und seine Kollegen sind jeden Tag im Wald unterwegs, betreuen die Wanderwege und vor allem die Wandernden. Er führt Gruppen, repariert Bänke, überprüft die Wegweiser und „passt auf alles auf“. Vor allem aber nimmt er sich die Zeit für ein Schwätzchen mit jedem, den er unterwegs trifft und der Lust hat, etwas über die Natur zu erfahren.





Heuschrecke sitzt auf einer Distel

Als wir vom Roßnacken auf Lennestadt-Saalhausen hinunterschauen, sprechen wir über Tiere. „Fuchs und Hase, Wildschwein, Reh und Hirsch - ja und inzwischen auch Wisente - sie alle leben frei in unseren Wäldern. Leider kann ich nur selten den Naturinteressierten so große Tiere zeigen. Die verstecken sich nämlich ganz gut. Wer aber die Augen auf macht, sieht auf jeden Fall faszinierende Tiere - ganz kleine. Mich begeistern ehrlich gesagt vor allem die Insekten - diese Formen- und Farbenvielfalt,“ begeistert sich Ralf und zeigt auf eine Distel. Ich sehe nur grün. Dann bewegt sich was. Auf der Distel sitzt eine Grille im Licht des Sonnenuntergangs. Da macht sogar der Ranger schnell ein Foto.





Ein Ranger steht auf einer Brücke im Schwarzbachtal

Naturnah soll die Forstwirtschaft in Südwestfalen arbeiten: „Mischwälder mit Bäumen unterschiedlichen Alters auf einer Fläche, gesunder Unterwuchs, Artenvielfalt. In solchen Wäldern regelt sich vieles von selbst. Der Waldbauer, der irgendwann mal Holz ernten will, muss weniger eingreifen. Das ist besser für die Natur, weil viele Arten wieder Platz in den Wäldern finden. Das ist besser für die Wandernden, weil sie den Eindruck haben, fast wieder durch einen Urwald zu laufen. Und das ist besser für den Waldbauern, weil er weniger Geld für Arbeitskräfte ausgeben muss, wenn die Natur selbst dafür sorgt, dass Stürme und Schädlinge dem Wald weniger anhaben können. Wird in einem solchen Wald ein Baum gefällt und mit dem Pferd zur Forststraße geschleppt, ist das ein Glück für die Natur, denn jetzt kommt Licht bis zum Waldboden und gibt den kleinen Baumschösslingen eine Chance, groß zu werden. Beeindruckend ist es zu beobachten, wie in den nächsten Monaten der Wettlauf zum Licht beginnt.“





Blick über die Lenne nach Saalhausen

Nach einer solchen Wanderung muss man einkehren. In vielen Sauerländer Dörfern gibt es immer noch mindestens einen urigen Gasthof - in Saalhausen gleich mehrere. Am Tisch neben uns wird ein gewaltiger, präparierter Fisch herum gereicht. Es tagt der Anglerstammtisch und wir kommen gleich ins Gespräch. „Der stammt aus der Lenne“, erzählt Raimund Schmidt stolz und zeigt auf den Riesenfisch, „Wir haben ein Stück der Lenne gepachtet und verbringen da einen Teil unserer Freizeit - wenn wir nicht gerade im Park Tal-Vital arbeiten“. Unter dem Titel Tal-Vital wurde der Kurpark von Saalhausen neu gestaltet. Den Gestaltern ist es gelungen, einen Park zu schaffen, der genau ins Sauerland passt: kreativ, bodenständig, mit heimischem Material, eingepasst in die Natur, verwurzelt und modern. Der Anglerstammtisch hat die Patenschaft für die Gewässer im Park übernommen, die Teiche und die Lenne, die in ihrem renaturierten Bett durch das vitale Tal fließt.

Kurze Zeit später stecke ich in Raimund Schmidts Wathose, stehe bis zur Brust in der Lenne und fotografiere die Herren bei der Arbeit. Der Besitzer der Wathose zählt vom Ufer aus auf: „Wir räumen umgestürzte Bäume weg, fischen Algen ab und sammeln Müll ein. Wir räumen alles weg, was nicht so schön aussieht.“ Das kostet viel Zeit und als ich frage, warum sie so viel Mühe ehrenamtlich auf sich nehmen, schaut er ganz überrascht: „Wir wohnen hier und man schaut doch in seinem Umfeld, das alles so schön ist wie möglich. Das ganze Vereinsleben in Saalhausen ist so, dass jeder irgendwelche Aufgaben übernimmt. Das ganze Dorfleben funktioniert so. Schließlich wollen wir in einem schönen Dorf leben.“ Typisch Sauerland - die Dörfer sind so, wie sie sind, weil die Menschen sie so haben wollen. Und das merkt auch die Besucher: Dörfer wie Saalhausen sind keine malerische Kulissenstadt sondern ein authentisches, gelebtes Stück Sauerland.

Klaus-Peter Kappest

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