Eslohe, St.-Rochus-Weg (51.253599 | 8.153797)
Man schrieb das Jahr 1637. Das Land befand sich in einem Krieg, der dreißig Jahre dauern sollte. Bauernhöfe wurden von marodierenden Soldaten geplündert, Dörfer in Brand gesetzt, viele Menschen umgebracht. Was der Krieg verschonte, raffte eine unheimliche Krankheit dahin, die sich bis heute als Trauma tief ins Gedächtnis Europas eingegraben hat: die Pest. Ganze Landstriche wurden entvölkert. Irgendwann erreichte das große Sterben auch das Sauerland. In Medebach soll es begonnen haben und dann suchte es Eslohe heim. In einem Legendentext heißt es: „Die Pest raste und würgte mit gierem Maul im Ort weiter. Ließ sich nicht scheuchen, nicht durch Beten und Segnen, nicht durch Schnapstrinken aus großen zinnenen Krügen und durch Räuchern mit Kuhmist. Riss dem stärksten Manne das Werkzeug aus der Hand und tötete den Säugling an der Mutter Brust.“
Was konnte jetzt noch helfen? In ihrer Verzweiflung beschlossen die Esloher, dem Heiligen Rochus eine Kapelle zu bauen. Ihm, der Pestkranke gepflegt hatte; ihm, dessen eigener Körper auch voller Eiterbeulen gewesen war; ihm, der auf wunderbare Weise geheilt worden war. Nicht bequem im Tal wollten sie bauen. Sie bestimmten eine Anhöhe als Bauplatz, das Dorf überragend, Beweis für ihren Gotteseifer. So beschlossen, so getan. Bruchsteine wurden den Berg hinauf geschleppt, „auf dem Ast“, wie man im Sauerland sagt, wenn etwas geschultert wird. Jeder schwerbeladene Gang ein Büßen, ein Bitten, ein Flehen. Jeder Schweißtropfen weihte das Werk. Dann geschah das Wunder: Das Pestwüten erlahmte, der schwarze Tod zog sich zurück.
Gleichzeitig erlahmte auch der Eifer. Die Menschen fragten sich: Müssen wir wirklich weiter Stein um Stein, Balken um Balken hinaufschleppen? In diesen kargen Zeiten? In denen unsere Kinder kaum zu essen haben? Halbfertig stand die Kapelle auf auf dem Scheitelpunkt zwischen der Kückelheimer Höhe und dem Steltenberg, wie eine offene Rechnung mit dem Heiligen Rochus. Dann der Schock: An einem heißen Sommertag kehrte die Epidemie zurück. Sie meuchelte noch mehr Menschen und noch schneller als zuvor. Zufall? Schicksal? Oder die Strafe für das gebrochene Gelübde? Wer weiß das schon. Jedenfalls beeilten sich die Esloher, ihre Kapelle fertig zu bauen. Zehn Jahre nach Baubeginn wurde sie eingeweiht. Das Pestfeuer erlosch und ist nie wieder aufgeflackert. Ein Jahr später endete auch der große Krieg.
Franz-Josef Huß erzählt mir diese Geschichte, während wir in einer Holzbank der Kapelle sitzen. Halblicht dringt durch ein Glasfenster mit der Darstellung des St. Rochus, der auf eine Pestbeule an seinem Oberschenkel zeigt. An den Wänden wunderbare Fresken, im 17. Jahrhundert aufgemalt, erst Ende der 1960er Jahre freigelegt, berührende Darstellungen des Leidens Christi. Huß, 75, der sich im Förderverein Rochuskapelle für die Erhaltung der Kapelle einsetzt, befürchtet, die Bildnisse könnten verblassen oder beschädigt werden, so wie vor Jahren, als eine umstürzende Tanne Mauerwerk samt Malereien wegriss.
Die Esloher schützen ihren Schutzheiligen. Die Kapelle wurde gegen Diebstahl gesichert und bekam ein neues Dach. Holzschnitzereien wurden gegen Wurmfraß imprägniert, Wände trockengelegt. Wie vor 400 Jahren geht es darum, nicht nachzulassen, beharrlich zu bleiben, um das Wertvolle zu erhalten.
Mich macht die Geschichte nachdenklich. Mühelos kann ich sie auf mein eigenes Leben beziehen. Ideen habe ich reichlich, die gehen mir nicht so schnell aus. Aber wenn ich ein Werk begonnen habe, merke ich manchmal, wie es mir schwerfällt, dran zu bleiben und alles zu tun, um die Idee zu verwirklichen. Nach dem schöpferischen Impuls braucht es die Kraft des Bewahrens, damit sich ein Werk entfalten kann. Liebe, Pflege, Nahrung, Schutz – so, als wolle man ein Kind aufziehen.
Am gleichen Tag schon bekomme ich Gelegenheit, die Sache mit der Beharrlichkeit zu üben. Huß hatte mir erzählt, dass die Kapelle nachts angestrahlt wird. Eigentlich wollte ich schon abreisen. Aber meine fotografische Fantasie stellte sich vor, dass sie abends noch eindrucksvoller in ihrer einsamen Höhe dasteht als im harten Mittagslicht. Am späten Abend kehre ich zurück. Warte in der Dämmerung, die sich langsam wie dunkler Schleier über die Anhöhe legt. Halte Kamera und Stativ bereit. Dann gehen die Strahler an. Golden leuchtet die Kapelle weit ins Nachtblau hinein. Ein Farb-und-Formen-Wunder entfaltet sich. Das Holzkreuz an der Stirnseite wird zum Lichtzeichen in der Nacht. Ich mache meine Bilder. Als ich die Ausrüstung ins Auto packe, bin ich mir sicher: Die Geduld hat sich gelohnt.
Hinweis:
Das Innere der Kapelle kann durch ein kleines Fenster an der Rückwand „bei Wind und Wetter“ besichtigt werden. Ein Schlüssel wird gern zu den Öffnungszeiten des Esloher Pfarrbüros ausgegeben. Zu den Öffnungszeiten: https://www.pv-se.de/gemeinden/esloher-land/eslohe/
Michael Gleich
Wanderportal Eslohe
An der Rochuskapelle vorbei wandern Sie durch das Naturschutzgebiet Reinscheid. Dann laufen Sie auf einem Teil des Sauerland-Höhenflugs und von dort aus zurück zu Ihrem Ausgangspunkt.
Weitere Infos erhalten Sie über den Schmallenberger Sauerland Tourismus: Tel: 02972/9740-0, E-Mail: info@schmallenberger-sauerland.de