Medebach-Glindfeld (51.199865 | 8.676812)
Für die beiden älteren Damen aus Medebach ist diese Bank eine Krafttankstelle. Wenn sie „zum Kahlen“ pilgern, beten sie zuerst in der oberen Kapelle zu Maria, „Trösterin der Betrübten“. Dann gehen sie ein paar Stufen den Hang hinunter, zur Grabkapelle, die den Leichnam Jesu zeigt. Und danach setzen sie sich auf diese Bank. Heute darf ich mich dazugesellen.
Vor uns erstreckt sich das flache Tal von Glindfeld, rechts im Wiesengrund ein ehemaliges Kloster, gegenüber ragen die Spitzen von 63 Meter hohen Douglasien aus dem Mischwald hervor. Die gewellten, sanft gerundeten Höhenlinien der Berge, so sagt die eine, kommen ihr vor wie grüne Wolken; tatsächlich sehen sich die Formen des Grüns auf der Erde und des Weiß am Himmel erstaunlich ähnlich. Die andere sieht „grüngefärbte Schäfchenwolle“, die Bergrücken mit Weichheit überziehend. Die eine fühlt sich geborgen durch das Rund der umstehenden Berge, die andere schätzt den Blick weit ins Land. Ich kann beides nachvollziehen.
Wir sitzen still. Bis die eine erzählt: „Es war vor 50 Jahren. Mein Vater fuhr mit Trecker und Anhänger los, um Futter zu holen. Mein neunjähriger Bruder sollte mitfahren, er sollte hinten eine Bremse betätigen. Als er abspringen wollte, geriet er zwischen Deichsel und Anhänger. Der Vater musste ihn überrollen, um ihn überhaupt frei zu bekommen. Verzweifelt trug er den Jungen, bis er nicht mehr konnte. Dann kam endlich ein Auto vorbei. Mein Bruder kam noch rechtzeitig ins Krankenhaus, er hat knapp überlebt. Der Vater versank in Schuld und Schweigen. Anders meine Mutter. Sie ging zur Kapelle und dankte Maria für die Rettung ihres Sohnes.“
Dann erzählt die andere: „Ich habe noch acht Geschwister. In den Jahren nach dem Krieg wussten unsere Eltern nicht, wie sie so viele hungrige Bäuche gefüllt kriegen sollten. Eines Tages waren alle Vorräte aufgebraucht, mein Vater ratlos, meine Mutter verzweifelt. Sie pilgerte zum Kahlen und vertraute ihre Sorgen der Schmerzensreichen Mutter an. Als sie nach Hause kam, stand ein Sack Kartoffeln vor der Tür.“ Die beiden erzählen mir diese Geschichten, „damit Sie verstehen, warum diese Kapellen für uns Medebacher so wichtig sind“.
Die eine erzählt vom Karfreitag: „Tausende gehen den Kreuzweg. Die ersten schon vor Sonnenaufgang. Viele mit der Prozession am Vormittag. Viele aber auch allein. Zu denen gehöre ich. Im eigenen Tempo gehen. Mit meinen eigenen Anliegen. Es gibt ja immer eins. Ob ich dafür bete, dass die Schwangerschaft meiner Tochter gutgeht. Oder weil eines der Kinder vor einer wichtigen Prüfung steht. Manchmal ist einfach alles gut, dann bete ich, dass es so bleibt.“ Die andere erzählt von der Wanderung des Sauerländischen Gebirgsvereins: „Am 1. Mai feiern wir die Messe auf dem Platz vor der Kapelle. Ich darf mir immer das Thema für die Predigt aussuchen. Meistens ist das Thema für die Predigt ‚Bewahrung der Schöpfung‘. Das finde ich gut.“
Die eine erzählt, dass sie als Kinder auf dem Rückweg von der Karfreitagsprozession schon Ostereier suchen durften: „Suchen und finden – ja, aber nicht essen! Das war schließlich ein Fastentag.“ Die andere zeigt auf den steilen, nur leicht kurvigen Pfad hinab nach Glindfeld, ein weiterer Kreuzweg, der bis zum Kloster führt: „Zwei meiner Brüder haben mal einen Bob aus Stahlblech gebaut. So richtig windschnittig, vorne mit Lenker, hinten mit Bremsen, die hatten scharfe Zacken. Im Winter schleppten wir den Bob hierher, auf den Anfang des Pfades. Die beiden stiegen vorne ein, ich durfte Bremserin sein. Und dann ging‘s in einem Affentempo den Berg runter. Heute würde man sagen: der ultimative Kick.“
Was zieht die beiden immer wieder hierher? Die Kapelle ist den „Sieben Schmerzen Marias“ gewidmet. Sie leidet, als ihr vom Propheten Simeon geweissagt wird, dass ihr der Sohn noch viel Kummer bereiten wird. Sie steht unterm Kreuz, als er Höllenqualen leidet. Sie hat den Schmerz auszuhalten, als sie den gemarterten Leib ins Grab legt. Eine starke Frau sei das, sagen die beiden starken Frauen aus Medebach, eine Mitfühlende, ein Vorbild. Wer sich und seine Sorgen den Berg hinauf getragen habe, könne sie im Gebet abladen. „Danach fühle ich mich erleichtert“, sagt die eine. „Ich finde meinen Frieden wieder“, sagt die andere.
Autor: Michael Gleich
Wandlung
Die Wege des Kreuzes vereinen sich
am magischen Punkt der Bergkuppe
Ankommen, den Rucksack ablegen,
sich sammeln, ruhen,
die Stille atmen, den Wolken lauschen,
Geborgenheit fühlen
in der Nähe und in der Weite,
denn das Tal zu deinen Füßen
schaut zu dir hinauf
©Marlies Strübbe-Tewes
Michael Gleich
Marktplatz Medebach
Gestartet wird die 5,8 km lange Wanderung am Marktplatz in Medebach. Zunächst wandern wir linke Hand die Oberstraße hinauf, dort biegen wir in der Höhe der Bäckerei Isken links in den Glindfelder Weg ab. Dann erneut links in den Weg" Am Kahlen" abbiegen. Leicht bergan dem x 13 dem alten Hanseweg bis auf die Höhe des Kahlens begleiten. Oben angekommen empfängt die Kahlenkapelle, mitten im Wald, den Wanderer und lädt zur Entspannung und Einkehr ein. Hier befindet sich der höchste Punkt des barocken Kreuzweges der von Möchen des Kloster Glindfelds angelegt wurde. An der kleinen Grabeskapelle unterhalb der Kahlenkapelle genießt man einen beeindruckenden Blick auf das im Tal liegende Kloster und seine bergige Umgebung. Nun einem kleinen Pfad bergab folgen bis der Philosophenpfad erreicht wird, dort in rechter Richtung dem Pfad entlang und weiter den M1 begleiten. Die kleinen Pfade wandelten schon die Mönche und philosophierten über die nächste Predigt. Dem M1 am Waldrand zurück in die Hansestadt Medebach folgen
Weitere Infos erhalten Sie über die Tourist-Information Medebach: Tel: 02982 / 9218610, E-Mail: info@medebach-touristik.de