Der Waldskulpturenweg führt hinein ins Schmallenberger Sauerland. Flankiert von Großplastiken international bekannter Künstler gelangt der Wanderer in ein Bullerbü für Große und Kleine. Zwischen Wormbach und Wilzenberg warten Orte von spiritueller Kraft. Zwischen Altenilpe und Wenholthausen schaut der Wanderer vom Sauerland-Höhenflug in malerische Dörfer mit eingeschworenen Dorfgemeinschaften, die herzlich und offen sind für alle, die eine Zeit lang teilhaben wollen an Sauerländer Brauchtum, Kultur und Lebensart.
Über 120 Dörfer und Weiler prägen Schmallenberg und Eslohe. Ihre Schönheit wird von den Gästen als die größte Stärke der Region empfunden. Sie kommt tief von innen aus den Dorfgemeinschaften. Natürlich schmiegen sich die Dörfer auch äußerlich wirklich malerisch in die sanft schwingende Landschaft.
Nebelschwaden umspielen alte Buchen, einen noch älteren Brunnen und den Sockel eines jungen Turms, der auf einem nochmal älteren Felsfundament steht. Auf dem Wilzenberg zwischen Grafschaft und Winkhausen stand einmal eine Burg. Zuvor trug er wahrscheinlich eine heidnische Kultstätte, später lebte hier ein Klosterbruder als Einsiedler. Kaum ein anderer Punkt im Sauerland hat eine so intensive Geschichte. Der weithin sichtbare Bergkegel mit seinen steilen Flanken und alten Buchenwäldern, dem 28 m hohen Hochkreuz, einem Aussichtsturm, der Wallfahrtskapelle und dem Kreuzweg strahlt eine ruhige Kraft aus. Ohne den Nebel hätte man von Turm auch noch einen grandiosen Rundblick.
Der Nebel trägt Kirchenlieder und den zarten Klang einer Glocke an mein Ohr. Ich folge dem Ton zur Wallfahrtskapelle. Dort endet gerade die sommerliche Wallfahrtssaison am Wilzenberg mit der Schützenwallfahrt des Kreisschützenbundes: Fahnen, grüne Uniformen, Schützenhüte im Sommerregen. „Soviel Weihwasser hätte es gar nicht sein müssen“, sagt lächelnd Pastor Ulrich Stipp aus Schmallenberg-Oberkirchen. „Den Schützen ist diese Wallfahrt so wichtig, da lassen sie sich von etwas Regen nicht abhalten.“ Nach der Messe komme ich mit dem Pastor ins Gespräch und er erklärt mir: „Der Wilzenberg hat in jeder Hinsicht etwas Herausgehobenes - rein lokal aber auch geistig-geistlich - etwas Herausgehobenes aus dem Alltag. Das empfinden die Menschen schon seit mindestens zwei Jahrtausenden so.“ Der Berg ist aber nicht der einzige Kraftort mit uralter Geschichte. Der Pastor erzählt mir von der romanischen Kirche in Wormbach, der Mutterpfarre der Region mit ihren geheimnisvollen Tierkreiszeichen-Malereien unter dem Gewölbe. „In Wormbach war vielleicht schon eine heidnische Kultstätte, bevor in der Zeit Karls des Großen der christliche Glaube in die Gegend kam,“ erfahre ich, „vor allem die Totenwege, über die man Verstorbene aus dem ganzen Großraum bis von Soest her nach Wormbach brachte, zeugen von der spirituellen Kraft dieses Ortes.“
Natürlich folge ich dem Rat des Pastors und schaue mir die Kirche an. So komme ich in eines jener außergewöhnlichen Dörfer. Sie haben einen echten Mittelpunkt. Das sind einfach schöne Plätze, eine Weide für die Augen: schlicht, unaufdringlich und klar - ein Ausdruck des Willens zur harmonischen, stilistisch geschlossenen und einheitlichen Gestaltung. Das Entscheidende liegt aber unter der glänzenden Oberfläche: Die Plätze strahlen Leben aus und zeigen, dass hier wirklich regelmäßig Menschen zusammenkommen. Die Dörfer in Schmallenberg und Eslohe sind Ausdruck einer besonderen Form der Gemeinschaft. Und als Gast fühlt man sich sofort willkommen. Wer sich darauf einlässt, findet hier wirklich Heimat auf Zeit.
Auch die Kirche in Berghausen, nur ein Dorf weiter, steht der sehr viel bekannteren in Wormbach in nichts nach. Gerade seit der jüngsten Renovierung kommen ihre wunderbaren Fresken im Altarraum durch neue Beleuchtung prächtig zur Geltung. In dieser Region trifft jahrhunderte alte Kunst auf Gegenwartskunst. Viele Künstler, vor allem auch von außerhalb, lassen sich im Raum Schmallenberg und Eslohe nieder.
Der eigentlich aus Düsseldorf stammende Maler Thomas Jessen begleitet mich über den Sauerland- Höhenflug von Bad Fredeburg zu seinem Atelier in Eslohe. Wir haben uns bei dieser Strecke für Fahrräder entschieden. Moderne E-Bikes machen es möglich, die ganze Fahrt über entspannt zu plaudern - trotz Steigungen. Wer einmal nicht Wandern möchte, kann sich die bequemen Fortbewegungsmittel bei der Gästeinformation in Schmallenberg ausleihen. Heute ist ein extrem klarer Tag und vom Gelsterhagen bei Altenilpe schweift unser Blick über das halbe Sauerland. Die großen Ausblicke reihen sich wie die Perlen einer Kette auf unserem Weg. Aber nicht sie sind es, die den Maler ins Sauerland gezogen haben. „Für mich ist es vor allem der Geruch,“ erklärt Thomas Jessen. „Er ist erdig und kräftig, kommt irgendwie von tief unten, ist intensiver als in anderen Gegenden.“ Ob das wohl auch der Grund dafür ist, dass so viele andere Künstler hier ihre Ateliers haben, frage ich und bekomme zur Antwort: „Das ist wohl eher die Gegend als Ganzes. Die Landschaft ist inspirierend. Die Menschen haben Lebensart. Natürlich sind nicht alle offen für moderne Kunst, aber vielleicht überdurchschnittlich viele. Außerdem ist die Gegend irgendwie rau und echt. Die Toskana ist so schön, was soll ein Künstler da noch tun? Aber hier gibt es etwas, an dem man sich reiben kann. Es ist schön und bröckelt doch auch irgendwo. Es ist steinig und grün zugleich.“
Angekommen in seinem Atelier im ehemaligen Bahnhof von Eslohe schließt sich dann der Kreis zur Schützenwallfahrt. Thomas Jessen muss gerade ein großes Bild von einer Schützenkönigin hinüber ins Esloher Maschinen- und Heimatmuseum auf der anderen Straßenseite bringen. Dort kann man einige seiner Arbeiten sehen, während sein Atelier dem Schaffen vorbehalten bleibt. „Wer hier lebt,“ erklärt er mir, „kommt am Schützenfest nicht vorbei, wenn man zur Gemeinschaft gehören will. Dieses Brauchtum hat nichts mit Militarismus zu tun. Es ist eine Feier der Gemeinschaft.“
So hängt nun Kunst zwischen Maschinen im Esloher DampfLandLeute Museum. Im Saal daneben steht eine alte Dampfwalze. Eberhard König, der Besitzer der ehemaligen Kettenfarbrik, in der heute das Museum untergebracht ist, fuhr damit durchs Dorf und walzte begeistert in seiner Freizeit, wo immer etwas zu walzen war - ein Sauerländer Original und gleichzeitig wieder ein Ausdruck jenes Gemeinsinns, der die Region prägt: vom Fabrikbesitzer bis zum einfachen Arbeiter legen alle gemeinsam Hand an, um die Dörfer innerlich und äußerlich zu dem zu machen, was sie sind.
Klaus-Peter Kappest