Steinbruch an der Peperburg

Lennestadt-Grevenbrück (51.143260 | 8.011195)

Musikalische Stille

Aufgegebener, von Efeu und Gräsern überwucherter Kalksteinbruch in einem Buchenwald nahe der Ruine der mittelalterlichen ›Peperburg‹ in Lennestadt-Grevenbrück.

Bevor ich loswandere, frage ich mich: Ein Steinbruch als Seelenort – wer hat sich das bloß ausgedacht? In einer Mischung aus Skepsis und Neugier breche ich auf. Von der Ruine der Peperburg, die trutzig oberhalb von Grevenbrück thront, gelange ich nach wenigen Minuten in einen Wald, wie ich ihn noch nie gesehen habe. Die Fichten wachsen nicht lotrecht nach oben, sondern gabeln sich. Alle auf exakt der gleichen Höhe. Aus einem Stamm werden zwei. Die Bäume wirken wie Stimmgabeln mit Wurzeln. Ein Stimmgabelwald. Damit ist der Grundton für diese Wanderung gesetzt. Meine Aufmerksamkeit richtet sich aufs Hören, besser gesagt aufs Lauschen. Meine Schritte setze ich behutsamer voreinander. Möglichst wenig Geräusche! Lauschen im Lärm, das geht nicht. Nun im Laubwald, kann ich mit gespitzten Ohren im Rauschen der Blätter Wellen wahrnehmen. Eine Geräuschkulisse wie am Strand. Es sind Windwogen, die das Laub in unterschiedlichen Oktaven leise summen lassen.

Der Forstweg verengt sich zu einem Pfad. Bärlauch rollt einen dunkelgrünen, würzig duftenden Teppich aus. Den Einlass hätte ich fast verpasst, so schmal ist er. Doch nach wenigen Schritten öffnet sich eine Freilichtbühne mit beeindruckender Felsenkulisse. Rotbraun türmen sich die Steine zu einer Wand mit Vorsprüngen und Nischen, mit Höhlen und Terrassen. In langen Fäden hängt Efeu an den steilen Wänden herunter wie Feen-Haar. Oder ist es ein grün-perlender Wasserfall, wie in der Bewegung eingefroren, um noch mehr Eindruck zu schinden? Buchen stehen als Statisten bereit. An diesem Abend wird das „Konzert für zwei schüchterne Motorsägen, Hummelchor und Amselsolo“ aufgeführt. Es tanzen: zwei Zitronenfalter. Perfektes Zusammenspiel. Weit und breit kein Dirigent zu sehen. Und doch ist fühlbar, dass es einen Taktgeber gibt, der das Singspiel orchestriert.

Auch bei einer Geschichte, die im Steinbruch spielt, geht es ums Zuhören. Der kleinen Penelope, Tochter der Herrschaft auf der Peperburg, wurde eingeschärft: „Gern darfst du von den Pflanzen des Waldes essen. Aber nicht alle sind genießbar. Insbesondere verwechsle nicht Bärlauch und Aronstab.“ Genau das muss passiert sein, so die Erzählung, denn die Prinzessin starb unter furchtbaren Krämpfen. Sie wurde an Ort und Stelle begraben. Und ihr langes Haar wallt bis heute von den Felsen herab. Die Moral von der Geschicht‘, in verschärfter Version: Wer nicht hören will, muss sterben.

Dieser Ort lehrt nicht Gehorsam. Er lehrt Zuhören. Diese Haltung, sich dem anderen zuzuwenden, mit offenem Ohr und offenem Herzen, wird in unserer Gesellschaft selten sichtbar. In Talkshows, in politischen Debatten, aber auch am Stammtisch und im Treppenhaus, so scheint es mir, geht es mehr darum, seine eigenen Meinungen und Wertungen loszuwerden, als bereit zu sein, den anderen zu hören. Nicht gleich mit einem großen „Aber“ einzuhaken. Das Geheimnis gelingender Dialoge scheint zu sein, vorbehaltlos zuhören. Da kommen mir meine Vorbehalte wieder in den Sinn, mit denen ich losgelaufen bin: Kann ich sie mitnehmen und mich dennoch auf den Steinbruch einlassen?

Zerstörung und Feinheit strahlt dieser Ort gleichermaßen aus. Hier wurden Felsbrocken mit brachialer Gewalt aus der Wand gebrochen. Seit der Lärm der Sprengungen, das metallische Hacken und Hämmern, das Gewieher der Pferde vor den Transport-Loren verstummt sind, herrschen hier die leisen Töne. Ich setze mich oben an den Rand und blicke in den Steinkessel unter mir. Ein Gefühl von Geborgenheit stellt sich ein. Guter Platz, nach innen zu lauschen. Oft sind meine Gedanken so schnell und so laut, dass sie alles andere übertönen. Dann höre ich nicht auf die Impulse, die von ganz innen kommen, die Botschaften des Herzens, auch wenn das abgegriffen klingt. Meditation hilft, aus der Kakophonie der inneren Stimmen diejenige heraus zu hören, die frisch klingt und mit diesem Moment verbunden ist.

Am Ende der Wanderung ist die Skepsis still geworden. Es gibt nicht mehr die Frage, warum dies ein Seelenort ist: Hier leitet die Natur höchstpersönlich die Musikmeditation an. Sie lädt ein zum Dialog. Mit ihr, mit sich. Hier gibt es wenig zu sagen und viel zu hören. Man kann lauschen lernen.

Autor: Michael Gleich

Steinbruch an der Peperburg

 

 

Aufgeschnitten der Berg,
geerntet den roten Stein,
verklungen heute die stummen
Schreie der Verletzung,
sanft flüsternde Töne der Vergebung
Auditorium der schwingenden Stille

Feenhaargleich Efeuschnüre,
kleinblättrig, zart und fragil,
lebender Vorhang der Versöhnung,
Ahornsprösslinge, feinfedriger Farn,
ein Rinnsal frischen Wassers,
wispern Sagen und Geschichten

vom Vergehen und Werden


©Marlies Strübbe-Tewes

Dieser Ort lehrt nicht Gehorsam. Er lehrt Zuhören.

Michael Gleich

Den Steinbruch an der Peperburg erreichen Sie am besten vom:

Kultur- und ess-Bahnhof Grevenbrück, Bahnhofspl. 10, 57368 Lennestadt

Die Wandertour führt im Naturschutzgebiet durch einen Buchenwald zu einem von Efeu und Gräsern überwucherten Kalksteinbruch. Je nach Jahreszeit entdeckt man u.a. seltene Orchideen, Maiglöckchen oder Bärlauch. Im weiteren Verlauf führt der Wanderweg über ein Hochplateau zur Burgruine Peperburg.

Weitere Infos erhalten Sie über die Tourist-Information Lennestadt-Kirchhundem: Tel: 0 27 23 - 60 88 00, E-Mail: info@lennestadt-kirchhundem.de

Seelenortwanderung Steinbruch Peperburg
Schwierigkeit: Mittel | Strecke: 4.3km | Dauer: 1:15h | Aufstieg: 96m | Abstieg: 96m
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