Siebenahorn

Winterberg-Züschen (51.139414 | 8.494376)

Richtig – falsch - Recht

Inszenierung eines mittelalterlichen Gerichtsplatzes auf einer abseits gelegenen Waldlichtung nahe des historisch belegten Ortes.

Allein das Wetter ist eine Strafe. Als ich in Züschen loswandere, nieselt es leicht. Dann stärkerer Regen. Ich denke, okay, könnte schlimmer kommen. Und es kommt schlimmer: Auf der Suche nach dem Gerichtsplatz verlaufe ich mich im Wald. Schließlich angekommen auf einer kleinen Anhöhe, wechselt der Himmel seine Farbe von grau auf schwarz, ein Schneesturm bricht los. Ich suche Schutz zwischen den nahen Buchen. Mitten am Tag wird es düster, Windböen schütteln das Geäst, mir läuft es eiskalt den Rücken runter. Mir kommt der Gedanke: Was für eine perfekte Inszenierung für diesen Ort! Die Konturen der sieben Ahorn-Bäume, die den Platz umstehen, verschwimmen im Zwielicht, ich bin ganz allein. In dieser völligen Abgeschiedenheit und Stille fällt es leicht, uralte Bilder wachzurufen:

Ein Aprilmorgen des Jahres 1458. Der Tag des Gerichts. In der Mitte des Platzes bildet ein mächtiger, grauer Steinblock den Richtertisch. Der Freigraf legt wortlos, mit bedächtiger Bewegung, zwei Gegenstände auf die Platte, ein Schwert und einen Strick. Die Schöffen stellen sich im Halbkreis um ihn, jeder spricht den rituellen Gruß, während er sich die rechte Hand auf die linke Schulter legt: Den Sieben ist klar: Es geht um Leben oder Tod. Sie sind die Wissenden, sie sind eingeschworen worden, auf ihnen lastet eine große Verantwortung. Sie wissen: Sollte einer von ihnen das Gericht, seinen Ort, seine Strafen preisgeben, droht auch ihm der Strang.

Die kleinen Fische, die geringen Delikte werden im Dorf verhandelt. Anders an diesem Platz, weit abseits im Wald und unter freien Himmel. Wer hierher befohlen wird, dem gnade Gott! Ein Mann wird vor den steinernen Richtertisch geführt. Der Bauer wird beklagt mit Mord, er soll seinen Nachbarn erstochen haben. Ein „vemwrogiges“ Verbrechen, es gehört vor die Feme. Wenn er unter den Schöffen Eidesgenossen hat, die seine Unschuld bezeugen, besteht die Chance, dass er lebend davonkommt. Doch die Verhandlung zeigt: Hat er nicht. Der Freigraf spricht das Todesurteil.

Ein Sonnenstrahl holt mich in die Gegenwart zurück. Die Wolkendecke ist aufgerissen. Es wird schlagartig wärmer, die Jacke trocknet. Ich hocke mich auf einen der flachen Steinquader, die über die Lichtung verstreut sind und andeuten, dass man hier zu Gericht gesessen hat. Fragen tauchen auf: Was ist für mich eigentlich Gerechtigkeit? Ist das Leben fair? Gibt es so etwas wie göttliche Gerechtigkeit? Oder sind Urteile immer menschlich, eingebettet in Zeit, Ort und Kultur? Ich setze mich auf die anderen Steinplätze. Jeder lässt eine andere Perspektive zu. Ich kann die Verzweiflung des Angeklagten spüren; den Wunsch der Schöffen, der Friede im Dorf möge wieder hergestellt werden; das innere Ringen des Freigrafen, der um seine Macht über Leben und Tod weiß und alles richtig machen will. Im Open-Air-Gerichtssaal haben sehr widersprüchliche Gefühle Platz.

Während ich Richtung Züschen zurückwandere, denke ich über das Erlebte nach. Über die Feme waren im Mittelalter viele Schauergeschichten im Umlauf. Die Vorschriften zur Geheimhaltung befeuerten die Fantasie der Menschen. Von Willkür und Machtmissbrauch wurde gemunkelt, von Folter und Kerkerhaft. Organisierte Grausamkeit. Heute wissen die Historiker, dass es zwar auch Korruption und Machtmissbrauch gegeben hat. Aber die Zahl der Todesurteile war eher niedrig. Die Verurteilten konnten bei anderen Freigerichten Berufung einlegen. Es gab Rituale und Regeln, ein Ringen um Recht und Gerechtigkeit. Man wollte den Frieden in den Dorfgemeinschaften aufrechterhalten. Den Zehn Geboten sollte auch mit weltlichen Mitteln Geltung verschafft werden.

Womöglich, denke ich, als ich aus dem Wald trete und die ersten Fachwerkhäuser sichtbar werden, war das Mittelalter gar nicht so dunkel, wie es immer heißt. Auch damals gab es den Wunsch der Menschen nach Gerechtigkeit. Auch damals schon die Versuche, das Faustrecht zu beenden und die Gewalt einzuhegen. Die Feme war einer davon.

Autor: Michael Gleich

Im Open-Air-Gerichtssaal haben sehr widersprüchliche Gefühle Platz.

Michael Gleich

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