Schwarzbachtal bei Haus Schwarz

Kirchhundem-Heinsberg (51.049434 | 8.202152)

Offen und geborgen

Von wilden Wiesen, Wald und einem Bach umgebener ehemaliger Standort eines vor über 100 Jahren verlassenen Bauernhauses im Naturschutzgebiet „Schwarzbachtal“

Ich stehe auf einer kleinen Holzbrücke. Unter mir plätschert der Schwarzbach. Er schimmert, anders als sein Name vermuten lässt, rötlich, während er sich in sanften, weiten Kurven durch das offene Tal und seine Wiesen schlängelt. Büsche und Bäume, wie eingestreut an seinen Ufern, markieren seinen Lauf noch in der Ferne, wo sich sein Schlängeln verliert. Erster Gedanke: Einfach schön! Zweiter Gedanke: Warum finde ich diese Gegend so schön?

Menschen, egal welchen Alters oder welcher Kultur, scheinen den gleichen Typus von Landschaft zu bevorzugen. Und das seit Urzeiten. Ein paar Hügel gehören dazu, die als Ausguck dienen, aber nicht zu steil, sonst wird das Klettern zu anstrengend. Locker verteilte Bäume, die Verstecke gewähren, aber kein zu dichter Wald, sonst sehen wir nicht, wenn Gefahr droht. Hier und da ein Wasserlauf und ein Teich, aber nicht zu feucht, sonst wird das Fortkommen mühsam. In der Urheimat von Homo sapiens, der ostafrikanischen Savanne, habe es diese ausgewogene Mischung gegeben, glauben Forscher. Eine Balance nach dem Motto „sehen und nicht gesehen werden“, die noch heute unsere Idealvorstellung von Natur prägt.

Egal, ob das stimmt: Auf meinem Ausguck auf der Brücke erinnert mich das Schwarzbachtal tatsächlich an die tansanische Savanne, wo ich mehrfach als Reporter war. Ein tiefsitzendes Gefühl von Heimkehr stellt sich ein. Meine Augen genießen es, frei im weiten Tal umherspazieren zu dürfen.

Ein wetterfestes Blätterbuch auf dem Brückengeländer informiert darüber, welch‘ lebendige Fülle der kleine Bach beherbergt. Edelkrebse, Forellen und Groppen tummeln sich bevorzugt in unterspülten Uferabschnitten. Was den Eisvogel nicht abhält, für sich und seine Jungen immer wieder nach Beute zu fischen. Gebirgsstelzen hüpfen über die sacht überspülten Steine. Ansonsten sehe ich schwarz: Das Tal gilt als Einflugschneise für die seltenen Schwarzstörche, eine verbreitete Baumart ist die Schwarzerle, die Wiesen werden nachts umgegraben von zahlreichen Schwarzkitteln, den Wildschweinen. Schwarz ist hier ziemlich bunt.

Ich folge dem Bachlauf bis zu dem Platz, wo einst Haus Schwarz stand. Es wurde Mitte des 18. Jahrhunderts auf einem trockenen Plätzchen am Ufer errichtet, in der Mitte von nichts, Ende des 19. Jahrhunderts brannte es bis auf die Grundmauern ab und war dann tatsächlich schwarz. Hieß das Haus nach dem Bach oder umgekehrt? Wie kommt jemand darauf, in dieser Abgeschiedenheit leben zu wollen? Haben sich die Bewohner in diesem Tal geschützt gefühlt oder eher gefährdet? Was aßen sie, zu einer Zeit, als jedes Lebensmittel auf dem eigenen Rücken oder auf dem eines Ochsen mühsam herbeigeschafft werden musste? Erlebten sie abseits der sozialen Kontrolle, die im Dorf herrschte, eine große Freiheit? Oder waren sie gefangen in Kargheit und Bedrängnis? Das Haus im Wald, es stellt Fragen nach der Möglichkeit eines ganz anderen Lebens. So abgeschieden wie heute lag die Hausstelle damals allerdings nicht. Unmittelbar an ihm vorbei führte die „Via francofurtensis“, eine alte Handelsroute, die das Bilsteiner Land mit Hessen verband und auf der ein reger Handelsverkehr mit Pferdefuhrwerken stattgefunden haben wird.

Zuerst bewohnte die Familie eines Jagdaufsehers des Freiherren von Fürstenberg das Haus Schwarz. Vermutlich haben sie fast autark gelebt, vom Getreide, das auf kleinen, in Terrassen angelegten Äckern wuchs, von der Milch ihrer Kühe, von den Eiern ihrer Hühner und Enten, von Beeren, die sie im Wald pflückten, und vom Wildbret aus der Jägerei. Viele Mägen waren zu füllen, ein Taufbuch meldete zwölf Kinder im Hause Schwarz. Die Familie errichtete ein Hofkreuz, an dem sonn- und feiertags gebetet wurde, wenn – bei hoher Schneedecke – an einen Marsch zur Kirche nicht zu denken war. Ein glückliches Leben, genährt von der Fülle der Natur? Oder ein Dasein im Jammertal? Als das Haus abbrannte, wenige Jahre vor Anbeginn des 20. Jahrhunderts, zogen die letzten Bewohner fort, die Reichlings, wie die Familie nach Einheiratung hieß; deren Nachkommen leben heute noch in den umliegenden Dörfern.

Was bleibt? Die Grundmauern und der Keller, denen der Brand einst nichts anhaben konnte, wurden zugeschoben, aber mit geübtem Blick erkennt man die Stelle noch. Ältere Heinsberger wissen sogar, wo ein Stachelbeerstrauch aus dem Garten derer von Haus Schwarz überlebt hat und 120 Jahre nach dem Exodus der Bewohner immer noch Früchte trägt. Vor Jahren errichtete die Familie erneut ein Kreuz, das an den Beginn im Rüsper Wald erinnert. Ich sitze auf der Bank daneben, geschützt von jungen Bäumen in meinem Rücken, der Blick folgt den Bachkurven ins weite Tal hinein. Ich packe meine Vesper aus. Ein Gefühl von Geborgenheit stellt sich ein. Aber für mich ist die Sache ja auch einfach: Ich muss die Zutaten für´s Käsebrot nicht auf den Wiesen vor mir selbst produzieren.

Autor: Michael Gleich

 

Meine Augen genießen es, frei im Tal umherspazieren zu dürfen. Ein Gefühl von Geborgenheit stellt sich ein.

Michael Gleich

Das Schwarzbachtal erreichen Sie am besten vom:

Wanderportal /-parkplatz Hochheide bei Kichhundem-Heinsberg

Der 7,4 Kilometer lange Rundweg ist durchgehend als A 4 markiert und führt über gut ausgebaute Forstwege. Im Bereich der Heinsberger Heide ist der Weg asphaltiert und nahezu eben, sodass dieser Teil des Schutzgebietes auch für Menschen mit Mobilitätseinschränkungen erlebbar ist. Mit dem Rothaarsteig durchquert einer der bedeutendsten deutschen Fernwanderwege das Schutzgebiet

Weitere Informationen erhalten Sie über die Tourist-Information Lennestadt & Kirchhundem:  Tel: 02723/608-800, E-Mail: info@lennestadt-kirchhundem.de

Seelenortwanderung Schwarzbachtal (A4)
Schwierigkeit: Mittel | Strecke: 7.4km | Dauer: 2:0h | Aufstieg: 154m | Abstieg: 154m
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