Quarzklippen

Medebach-Dreislar (51.150230 | 8.679418)

Mensch und Schöpfung

Felsformation bewachsen mit alten Eichen und Kirschbäumen. Steineres Zeugnis einer vor 50 Millionen Jahren entstandenen Erdspalte, die sich von Dreislar bis nach Polen zieht.

Auf den Quarzklippen oberhalb von Dreislar erlebe ich Schöpfung im Schnelldurchgang. Die Untertitel dazu liefert Gerhard Brocke, Drechsler von Beruf und Berufung und in einem seiner vielen Ehrenämter Ortsheimatpfleger.

Während wir uns durch Sträucher und moosbedeckte Felsbrocken an der Klippenkante entlang vorarbeiten, erzählt der 70-ährige von 70 Millionen Jahren Evolution so selbstverständlich, als kommentiere er Blätter im Familienalbum. Eine Geschichte voller Spannungen und Spaltungen. Sie beginnt mit dem Aufeinanderprallen der Kontinentalplatten. Es riss eine kilometerlange Bruchkante in die Erdkruste. Sie führt genau dort durch, wo wir gerade stehen. „Tief im Erdinneren brodelten 450 Grad heiße Lösungen“, erklärt Brocke. „Die standen unter großem Druck, sind durch Spalten hochgeschossen wie Geysire.“ Dann begann ein chemischer Prozess, bei dem es zwischen den Beteiligten (Schwefel, Sauerstoff, Wasser und Barium) heiß herging. Als sich die Gemüter abkühlten, blieb Schwerspat übrig: wunderschöne Quarze.

Ein göttlicher Schmuckdesigner hat diese Steine gestaltet. Manche wirken wie von Goldkörnern besprenkelte Juwelen. Andere wie edle Pasteten, Pralinen, Gebäcke. Oder wie Miniaturlandschaften mit Höhlen, Schluchten, Terrassen. Ein von Quarz umfasster Amethyst zeigt Haifischzähne. Ich sehe Steine, die gerollt wirken, gebogen, umschließend, emporstrebend. Diese Steine leben, ja, sie sprechen. Mich überkommt ein Gefühl von Ehrfurcht. Ein Staunen, das weiß, ohne zu wissen. Eine innerliche Verbeugung vor etwas, das so viel älter und größer ist.

Evolution macht keine Pause. Gerhard Brocke galoppiert weiter durch die Erdgeschichte. Erzählt davon, wie tektonische Bewegungen an anderen Ort auf der Welt die kristallhaltigen Spalten wieder verfüllten und schlossen. „Nicht jedoch in Dreislar! Hier blieb eine Spalte offen. Ein kleines Wunder. Auf einer kleinen Fläche von 450 mal 350 Metern lagen die Kristalle direkt unter der Oberfläche.“ Dort stehen wir gerade. Viel wächst nicht auf der Quarzklippe, die Bäume sind eher klein und gekrümmt, nur genügsame Moose und Gräser bedecken den Boden. „Das sieht so aus wie seit Jahrtausenden. Hier hat der Mensch noch nie eingegriffen.“

Aber weiter unten, da hat man gegraben. „In unserer Gegend vermutlich schon keltischen Zeiten. Sicher ist das nicht.“ Richtig los ging es erst Anfang des 20. Jahrhunderts. Baryt wurde als Zugabe für Fotopapiere, für weiße Farbe und für die Abschirmung von Räumen beim Röntgen entdeckt.

Brocke führt mich den Hang hinab. Wir verlassen das Unterholz und treten auf einen offenen Platz. Rotbraun liegt eine Felswand vor uns. Ein Holzzaun davor soll eifrigen Steinesammlern signalisieren: Bitte liegen lassen! „An dieser Stelle begann man ab 1912, Stollen zu graben.“ Eine wechselhafte Geschichte nahm ihren Lauf. Weltkriege, Wirtschaftskrisen und Wirtschaftswunder griffen ein, mal behindernd, mal befördernd. Zeitweise galt das Bergwerk in Dreislar als das modernste Europas. Technikinteressierte kamen aus der ganzen Welt, um das ausgeklügelte System der Schächte zu bestaunen. Gangsysteme, auf denen Lkws auf Serpentinen ins Erdinnere fahren konnten. „Vor zehn Jahren waren die Lager erschöpft“, erinnert sich Brocke. Die Stollen und Gänge wurden verfüllt, die unterirdische Schatzkammer geschlossen.

Gleichzeitig entstand eine überirdische Kristallwelt. Diesmal waren Menschen die Schöpfer. Brocke und Gleichgesinnte gründeten einen Förderverein, beantragten Geld, gingen meist selbst zu Werke. Das Ergebnis ist in dem Gebäude neben der Kirche zu besichtigen, zu dem mich Brocke führt. „Schwerspat Museum“ steht in roten Lettern über dem bogenförmigen Eingangstor. Sperriger Name außen, Wunderwelt innen. Erneut kann ich 70 Millionen Jahre vor- und zurückspulen. Vitrinen voller steinerner Schönheiten. Eine nachgebaute Schmiede. Künstliche Stollen. Brocke nennt dazu Zahlen wie diese: Mit dem schweren Baryt beladene Lkws in Dreislar legten 16-mal die Entfernung Erde – Mond zurück. Der Stolz auf die eigene Geschichte ist unüberhörbar.

Autor: Michael Gleich

 

Eine innerliche Verbeugung vor etwas, das so viel älter und größer ist.

Michael Gleich

Die Quarzklippen erreichen Sie am besten vom:

Wanderparkplatz "Im Schwinkel"

Ab dem Wanderparkplatz "Im Schwinkel"  wandern Sie auf dem Medebacher Bergweg Richtung Dreislar. An der Hundecke überqueren Sie kurz die Medeloner Landstraße und folgen dem blauem Höhenflugzeichen und dem D1 Richtung Westen. Am Rüdenscheid verlässt uns der Höhenflug und wir folgem dem D1 um den Linsenberg herrum. Nach ca. 2 km ist der kleine Bergbauort Dreislar schon in Sicht, verlassen Sie nun den Weg nach rechts über einen Wiesenweg ganz geradeaus nach unten. Dieser Weg hat keine Beschilderung. Unten auf dem neuen Weg angekommen nach links gehen und den nächsten kleinen Weg wieder nach links ein Stück folgen bis wiederum links der kleine Schwerspatsteinbruch erscheint.

Hier befinden Sie sich nun in der Nähe der Quarzklippen und oberhalb der Schwerspatgrube Dreislar. Auf dem Rückweg in den Ort folgen Sie der Straße, an der kleinen Kirche entlang. Der Gasthof "Zum Burghof liegt links das Schwerspatmuseum rechts. Geradeaus weiter leicht bergauf führt uns der Weg am Friedfof vorbei über den Dornröschenpfad bis zum Wellnessrastplatz.

Weitere Infos erhalten Sie über die Tourist-Information Medebach: Tel: 02982 / 9218610, E-Mail: info@medebach-touristik.de

Wussten Sie...?

Als vor 50 Millionen Jahren die Alpen entstanden, ist hier eine Spalte aufgegangen, die sich bis nach Polen erstreckt.