Lennestadt-Oberelspe (51.158370 | 8.075260)
Der Weg ist in diesem Fall genauso spannend wie das Ziel. Er beginnt unten im Tal, zwischen den schattigen Büschen entlang des Oene-Baches. Zwischen Bäumen, die grün bemoost sind, führt er erst steiler, dann sanfter bergan, als wolle er die Anstrengung für den Geher dosieren. Zwei steingraue Streifen laufen als exakte Parallelen: Hier waren in früheren Zeiten Pferdewagen unterwegs, immer auf den gleichen Spuren. Die Fuhrleute schätzten den stabilen Untergrund aus Grauwacke, während sie sich durch das Auf und Ab der Berge kämpften. Mein Begleiter Michael Ross, der für den Sauerländischen Gebirgsverein Wege markiert, klärt mich auf: Diese Spurbreite, das „Römische Maß“, lebt als Gleisbreite bei der deutschen Eisenbahn weiter.
Ein Weg? Nein, viele. Wir laufen auf der Heidenstraße (auf dieser Route sind vermutlich Missionare ins Sauerland gekommen, zur Bekehrung der „Ungläubigen“); auf dem Jakobsweg (an den Bäumen die Plaketten mit gelber Muschel auf blauem Grund; bis nach Köln kann man laufen und weiter bis Santiago de Compostela); auf einem Handelsweg (normalerweise gern über die Bergkämme geführt, aber in Oberelspe mussten die Gespanne runter ins Tal, und die Bewohner verdienten sich mit Anspanndiensten einst was dazu). Und dann handelt es sich auch noch um einen Kreuzweg. Er führt an den bekannten zwölf Stationen entlang, und wie im Bergland üblich geht es nach oben. Wollte man den Gläubigen mit den Mühen des Anstiegs zumindest eine Ahnung vom Leiden des Heilands geben? Auf die Bergeshöhe gehen als Sinnbild für das innere Wachsen? Ein Aufstieg gen Himmel?
Es gibt einen handfesten Grund, warum diese Route meinem Begleiter besonders gut gefällt. Er erklärt es mir, als wir aus dem dämmrigen Wald hinaustreten und abrupt im strahlenden Sonnenlicht und unter blank-blauem Himmel gehen. „Dieser Weg ist einfach klug angelegt, das begeistert mich. Er führt über die Südseite des Bergs. Im Frühjahr taute der Schnee hier am schnellsten, die Fuhrwerke konnten ihn nach dem Winter bald wieder befahren.“ Am steilen Hang, links von uns abfallend, grasen Schafe, die jetzt, in diesem besonders heißen Juli, kaum ein grünes Pflänzchen finden. Im Weitergehen lese ich die Sinnsprüche auf den steinernen Bildstöcken des Kreuzwegs: „Brich mit der Gewohnheit!“ – „Nimm dein Kreuz und folge mir.“ – „Deine Seele ist Gottes Ebenbild.“ Geistige Wegzehrung.
Auf dem Sattel angekommen, gelangen wir zum natürlichen Höhepunkt der Wanderung. Unser Ziel ist die Lausebuche. Zu meiner Überraschung ist die Buche eine Linde, und Läuse hat sie auch nicht. Ross erklärt mir: „Das ist nur ein Ortsname. Da steckt ‚luisen‘ drin, plattdeutsch für lauschen. Vermutlich gab es in kriegerischer Vorzeit hier einen Spähposten. Man konnte von diesem Punkt aus anrückende Feinde schon von Weitem entdecken.“ Unten in Elspe soll es einen Königshof gegeben haben, die adeligen Herren hatten wohl besondere Sicherheitsbedürfnisse.
Wir aber setzen uns friedlich auf einen großen Stein am Fuße des braunen Holzkreuzes, im Schatten des Baumes. Die Stille dieses Ortes lädt zum Lauschen ein. Horchen in die beiden weiten Täler zu beiden Seiten des Sattels. Lauschen auch nach innen, wo sich alles entspannt. Die Ruhe hier oben strahlt auf unser Gespräch aus, es wird langsamer, tiefer. Mein Begleiter erzählt von der „franziskanischen Wanderung“, die er einmal im Jahr mit anderen Männern unternimmt. Losgehen ohne festen Plan. Essen, was ihnen Menschen bereit sind zu spenden. Übernachten, wo jemand Herberge anbietet. „Es geht darum, mal einfach loszulassen“, sagt er. Einfach? Mir wird klar, wie schwer es mir manchmal fällt, „planlos“ zu sein. Abzuwarten und auf das Innere zu hören, was der nächste Schritt ist, den ich gehen sollte. Das wäre die innere Lausebuche, ein Horchposten für die Seele. Hier oben fällt mir dieses Lauschen leicht. Geräusche aus den Tälern dringen nur gedämpft bis zum Sitzplatz auf dem Stein. Schafe bewegen sich langsam. Schwacher Wind kräuselt Lindenblätter. Leben in Zeitlupe.
„Er ist auferstanden.“ Das steht auf dem letzten Bildstock. Durchs Leiden zur Hoffnung. Kommt mir bekannt vor: Wenn ich Schmerz zulasse, hindurchgehe statt zu versuchen, mich davon abzulenken, wird es hell und leicht. Da ist einer vorangegangen und zeigt, wo´s langgeht. So wird das Kreuz, unter dem wir rasten, zum Wegweiser.
Autor: Michael Gleich
Michael Gleich
Start an der Schützenhalle in Lennestadt-Oberelspe: vom historischen Ortskern führt der alte Kirch- und Kreuzweg von 1870 zur ›Lausebuche‹ im Grenzbereich zwischen Elspe und Oberelspe. Kennzeichnung durch eine blaue Muschel.
Weitere Informationen erhalten Sie über die Tourist-Information Lennestadt & Kirchhundem: Tel: 02723/608-800, E-Mail: info@lennestadt-kirchhundem.de