Krutenberg

Medebach-Titmaringhausen (51.252753 | 8.625783)

Grenze und Übergang

Der Himmel an diesem Maitag ist gnädig. Wolken lassen genug Sonnenstrahlen durch, um zu wärmen, und spenden genug Schatten, um uns die Wanderung auf den Krutenberg angenehm zu temperieren. Wir sind zu sechst. Einige kennen den Ort gut, zwei sind Neulinge. Wir machen einen „Wahrnehmungsspaziergang“: mit geschärften Sinnen das Bekannte neu erfahren und sich das Neue vertraut machen. Schweigend geht jeder für sich, in Sichtweite der anderen. Den Berg hoch, an saftig-grünen Wiesen entlang, bis zum höchsten Punkt flanierend. Auf ein Glockenzeichen hin brechen wir das Schweigen. Auf einer Bankgruppe Platz nehmend, mit weiter Sicht ins Land, erzählt jeder den anderen, was er, was sie wahrgenommen hat. Claudia beginnt: „Es ist so ruhig hier oben. Bis auf die Vögel. Die machen ganz schön viel Lärm. Aber er wirkt beruhigend auf mich, dieser Lärm. Was mir noch aufgefallen ist: diese Fülle von Dingen, die man essen kann. Mir kommt es vor, als ginge ich durch einen Garten. Himbeeren, Holunder, Löwenzahn, Brennnesseln, Waldbeeren. Auch viel Wild, was man anhand der Spuren sieht. Als wenn die Natur mich mit Nahrung versorgt.“

Der Name Krutenberg soll von Krautberg kommen. Viele verschiedene Kräuter wachsen hier. Mir geht es wie ihr: Die besondere Form dieses angeleiteten Spaziergangs lässt mich Qualitäten erkennen, an denen ich sonst womöglich achtlos vorbei gegangen wäre. Mir wird bewusst, was ein Wald alles schenken kann. Fülle und Vielfalt. Schutz und Weitblick. Lebendige Stille. Und für den, der sich auskennt, stellt sie einen reichhaltigen Speiseplan auf: Salat als Vorspeise, Fleisch als Hauptgang, Beerenmischung zum Nachtisch.

Nahrung auch für die Fantasie. Sabine sagt: „Für mich ist das ein Ort des Übergangs. Im lichten Wald fühle ich mich geborgen, kann aber schon durch die Bäume in die Weite schauen. Eine Weite, die mir Respekt einflößt. Diese unendlich vielen Hügel und Berge vor uns kommen mir vor wie Wellen, wie ein Blick vom Ufer aufs Meer. Würd´ mich nicht wundern, wenn gleich ein paar Delfine aus dem Wasser springen.“ An entrückten Orten wie diesem kommen auch mir neue Bilder, neue Ideen. Etwa die Frage: Will ich wieder runter, zurück ins Tal, ins Dorf in die laute Welt? Oder kann ich nicht einfach hier oben bleiben, mich von dem ernähren, was der Wald hergibt? Ein ganz anderes Leben wird denkbar in der Distanz zwischen da unten und da oben, in der Entrücktheit der Anhöhe.

 „Ich habe mich in den Windbruch dort geschlagen“, berichtet Christoph. „Dieser Widerspruch zwischen Tod und Leben, das hat mich berührt. Ich lag im weichen Gras, um mich herum die ganzen abgestorbenen Baumstämme. Es knisterte und knackte und krabbelte und krachte um mich herum. Insekten, Flügelschwingen, eine Krähe flog weg. Ein angeblich toter Wald mit so viel Leben darin.“ Wir erkennen unser Menschsein in der Natur wieder, deshalb fühlen wir uns darin so wohl. In der Lebensgemeinschaft des Waldes pflegen Erblühen und Verwelken eine gute Nachbarschaft. Der fließende Übergang von Werden und Vergehen inspiriert mich, den Tod als Teil des Lebens zu begreifen. Anstatt zu versuchen, ihn abzutrennen und unsichtbar zu machen, um ihn besser verdrängen zu können.

„Mein Lieblingsplatz ist ein Baumstumpf“, meint Sabine. Warum? „Da ist eine dicke Schicht von Moos drauf, wie ein weiches, grünes Sitzkissen. Inmitten von Vogelstimmen und Windgesang habe ich eine ganze Weile dort gesessen und das Denken vergessen. Gedankenverloren, so sagt man ja auch.“ Eine schöne Beschreibung für meditative Praxis, denke ich. Äffchengeist nennen die Buddhisten unseren rastlosen Verstand, der ständig im Geäst der Gedanken umhertobt. Ein Baumstumpf in freier Natur ist der richtige Ort, an dem sich mein Unruhegeist entspannen kann. Äußere Stille nährt die innere. In der Distanz zum Gedankendickicht fühle ich mir selbst näher als sonst.

Nach der Naturbeobachtung kommen die „Vertellekes“ zur Sprache, wie man im Sauerland sagt. Geschichten, die die Einheimischen mit dem Berg verbinden. „Das hier ist Grenzland. Hier war früher Kurköln, dort hinten Waldeck. Zwei unterschiedliche Herrschaften. Und immer wieder Streitigkeiten. Die Landschaft ist die gleiche, aber ob ihr´s glaubt oder nicht: Die Menschen ticken hüben und drüben unterschiedlich. Zum Beispiel in der Kneipe: Bei uns ist es üblich, dass immer einer ´ne Runde schmeißt. Drüben zahlt jeder sein Bier selbst. Andere Gegend, andere Sitten.“ – „Ja, genau. Du unterhältst dich mit jemandem, der erwähnt drei Leute, bis du auf einmal merkst: Es geht um ein und dieselbe Person. Denn hier hat jeder drei Namen. Einer bezeichnet das Haus, in dem er wohnt, dann der normale Name und noch ein Spitzname. Da kenn sich einer aus!“ Diesen Geschichten lauschend, erweitert sich mein Blick auf den Krutenberg und die umgebende Landschaft noch einmal. Ich spüre die enge Verbundenheit zwischen dem Land und den Leuten.

Berge trennen. Als Kind fand ich es sehr merkwürdig, dass Leute in einem Dorf „übern Berch“ für das gleiche Ding einen ganz anderen plattdeutschen Ausdruck hatten. Selbstverständlich ging ich davon aus, dass unserer der einzig richtige war. Auf unserer Bank sitzend, werfen wir Worte hin und her. Wie nennt ihr einen von außerhalb? „Bjuterling“, sagt eine aus Oberhundem. „Buiterling heißt das“, sagt einer aus Medebach. Nein, erklärt einer aus Attendorn, „es heißt ganz klar Büterling.“

Berge verbinden – zumindest diejenigen, die im selben Tal leben.

Autor: Michael Gleich

Berge verbinden – zumindest diejenigen, die im selben Tal leben.

Michael Gleich

Den Krutenberg erreichen Sie am besten vom:

Wanderparkplatz in Titmaringhausen

Ab dem Wanderparkplatz mitten in dem kleinen Örtchen Titmaringhausen geht es zunächst bergauf Richtung Westen auf dem Medebacher Bergweg und dem gelben Rothaarsteig Zubringer. Am Wameckersberg wartet schon die erste schöne Aussicht auf den Wanderer. Weiter oben verlassen wir den Bergweg und wenden uns nach links und folgen dem X25. Nach ca. 100 Metern sind Sie am Seelenort Krutenberg angekommen. Genießen Sie den Weitblick und die Nähe des Waldes. Verlassen Sie nun den x25 und folgen dem Weg vor Ihnen ins Tal. Während des ganzen Weges bietet sich Ihnen ein schöner Blick auf Wiesen, Wälder und Täler. Geradeaus an der Scheune entlang bis Sie auf den T3 stoßen, diesem folgen Sie nach Osten weiter bergab. Nachdem der Weg eine kleine Schlaufe gelaufen ist verlassen Sie den T3 nach links auf der kleinen Abkürzung" Am Breidelaub". Nach etwa 100 Metern stoßen Sie wieder auf den T3 und folgen dem Weg nach links (Norden) zurück zum Ausgangspunkt.

Weitere Infos erhalten Sie über die Tourist-Information Medebach: Tel: 02982 / 9218610, E-Mail: info@medebach-touristik.de

Seelenortwanderung Krutenberg
Schwierigkeit: Mittel | Strecke: 5.8km | Dauer: 2:0h | Aufstieg: 281m | Abstieg: 281m
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