Winterberg-Elkeringhausen (51.204300 | 8.574155)
Ich stehe vor einer Dorfkirche, wie es viele im Sauerland gibt. Weiße Wände, graues Dach, der rechteckige Turm überragt nur wenig die benachbarten Wohnhäuser. Doch als ich durch die graugestrichene Eingangstür trete, erlebe ich mein blaues Wunder. Und dann ein rotes. Mich überwältigt ein Spiel von roten und blauen Tönen, ungewohnte Farbenfreude, eine überraschende Helligkeit. Die Wände mit ihrem Terrakotta, das nach oben, zum Himmel hin, immer lichter wird, strahlen Wärme und Schutz aus. Spitzbogige Fenster setzen mit ihrem wasserblauen Glas als Grundfarbe kühlere Akzente dagegen, ohne kalt zu wirken.
In den Fensterbildern sehe ich zunächst nichts anderes als abstrakte Flecken, goldgelb, zartweiß, blutrot, schwimmend im Blau. Erst als ich ganz nah heran gehe und mit verschiedenen Blickwinkeln spiele, entdecke ich erste Konturen. Noch näher: ein Gesicht. Ganz nah: das Antlitz einer schönen Frau mit Kopfschleier. Fast versteckt, wie in einem Suchbild. Hans Joachim Bexkens, 67, Diakon von St. Maria Magdalena, erklärt mir die Idee hinter dieser mehr andeutenden als zeigenden Form: „Wir werden im Alltag von Bildern überflutet. Laut, aufdringlich, überflutend. Wir wollten Darstellungen, an die sich Menschen herantasten. Wer die Geduld aufbringt und genau hinschaut, freut sich an der Feinheit der Porträts.“
Bei der Meditation vor den Fenstern kommt mir der Gedanke: Es gibt eine Wirklichkeit hinter dem Plakativen. Liebe auf den zweiten Blick. Eine Wucht in der Zartheit.
Als in den Nuller Jahren die Neugestaltung der 1863 errichteten Kirche anstand, durfte die ganze Gemeinde von Elkeringhausen über die Gestaltung entscheiden. Sie votierte für die Entwürfe der Bonner Künstlerin Anja Quaschinski. Ausschlaggebend sei gewesen, „dass sie das Weibliche der Kirche hevorgehoben hat“. Für Bexkens ist das auch ein Ausdruck der Wertschätzung „für die vielen Frauen, die überall im Dienste Gottes dienen“. Alles Weibliche wurde in der katholischen Kirche über Jahrhunderte abgewertet, gleichgesetzt mit Versuchung, mit Sünde. Dazu gehörte auch die Diskreditierung Maria Madalenas, eine Freundin und Jüngerin Jesu, als vom Teufel besessene Hure. Mittlerweile weiß die Bibelforschung, welche Textstellen missverstanden oder bewusst missdeutet worden sind, um aus einer Heiligen eine Unperson zu machen.
Diese Kirche huldigt einer Frau, die Jesus folgte und ihm treu war, im größten Leiden am Kreuz, als die männlichen Jünger ihn verlassen hatten, und über den Tod hinaus, als die Jünger an der Auferstehung zweifelten. Ein farbenfrohes Denkmal für eine, die bleibt.
Drei Fenster links, drei rechts: Für Bexkens markieren sie Stationen von spirituellen Prozessen, die er aus seiner anderen Arbeit als Seelsorger für Polizisten und Feuerwehrleute kennt. Denen steht er nach Einsätzen bei, die besonders belastend waren, etwa Unfälle mit Schwerverletzten und Toten. „Wenn man sich Zeit nimmt und auf die Bildnisse einlässt, kann man einen ganzen Lebenslauf mit seinen Höhen und Tiefen nachvollziehen.“ Ist es nur der Maria Magdalenas? Oder auch der eigene, im Spiegel der blauen Bilder? Beginnend auf der linken Seite erzählen die Fenster von schwerer Krankheit, in der Bibel ausgedrückt als „von Dämonen besessen“; von der Begegnung mit Jesus, die auf der Stelle einen ganzen Lebensweg umleitet; von Heilung und einer ausströmenden Dankbarkeit; von Phasen der Dunkelheit und Depression; und schließlich, nach Abschied und Tod, von Hoffnung und Helligkeit. In Hollywood würde man das ein „happy end“ nennen. Aber was wären wir ohne diese Aussicht darauf, dass alles gut ist oder gut wird?
Wenn der Diakon Bexkens Menschen seelsorgerisch begleitet, die einen lieben Menschen verloren haben, oder Polizisten, die beim Einsatz traumatisiert wurde, dann tut er eine lange Zeit... gar nichts. Er hört nur zu. Später dann, wenn die Wunden langsam verheilen, nimmt er Menschen mit in seine Kirche. Geht mit ihnen von Fenster zu Fenster, von Etappe zu Etappe des Weges. Der führt auf der linken Seite durch das Leiden, „das nun mal dazu gehört“, und dann, vor den Fenstern auf der rechten Seite, „stelle ich die Menschen wieder auf“. So wird die Kirche zum Therapieraum, wo Gemüter geheilt werden, nicht mit Versprechen auf ein Irgendwann. Sondern ganz praktisch, hier und jetzt.
Gab es auch mal Kritik an der Farbenflut? „In der Übergangszeit, als die Wände schon rot, aber die Fenster noch nicht blau waren, sondern aus Klarglas bestanden, beschwerte sich eine Frau bei mir: ‚Ich fühle mich wie im Fegefeuer. Nee, da gehe ich nicht mehr rein.‘ Wenig später hatten wir einen Benediktiner-Mönch zu Gast. Er wusste von der Geschichte. Am Ende seiner Predigt sagte er: ,Also, wenn das Fegefeuer so wunderschön ist wie diese Kirche, weiß ich gar nicht, ob ich überhaupt weiter will.‘“ Die Dame sei danach wieder zum Gottesdienst erschienen.
Autor: Michael Gleich
Michael Gleich
Start Wanderparkplatz Elkeringhausen
Der 7 km lange Sonnenweg ist sehr geeignet für den Urlaubsbeginn.
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