Brilon-Wald / Olsberg-Elleringhausen (51.34316 | 8.56475)
Dieser Herbsttag beginnt mit Nebel, der langsam aufklart. Die Sonne zeigt sich, um gleich wieder von Wolken verschleiert zu werden. Wärmende Strahlen und kalter Wind im fliegenden Wechsel. Das macht Willi Otto nichts aus. Unsere Tour hat er minutiös vorbereitet; auf Flurkarten die Route auf den Ginsterkopf eingezeichnet; Wikipedia für Hintergrundinformationen befragt; ein Dossier mit Fotos früherer Wanderungen angelegt, das er mir übergibt. Er ist einer dieser Orte-Erzähler, bei denen ich spüren kann, wie sehr sie den natürlichen und kulturellen Reichtum ihrer Heimat schätzen. Nicht aufgrund blumiger Liebeserklärungen, sondern durch ihren verlässlichen Einsatz für die Gemeinschaft.
Willi („als Wanderfreunde lass uns Du sagen“), Jahrgang 1951, früher als Architekt tätig, ist heute im Ruhestand und aktives Mitglied im Dorfverein „Brilon-Wald aktiv e. V.“. Der Ginsterkopf, ca. 640m hoch, ist für ihn tatsächlich ein Seelenort. Warum? Das will er lieber erzählen, wenn wir oben angekommen sind. Vor dem Gipfelgenuss kommt ein anstrengender Anstieg. Aber was für ein wunderbarer Weg: Er ist mindestens so variantenreich wie das Wetter. Es geht, nachdem wir die breite Forststraße verlassen haben, auf schmalen Pfaden bergan. Sie führen in eine Anderswelt. Zwischen Nebelschwaden tauchen Hobbits zwischen dunkelgrün bemoosten Felsbrocken auf und verschwinden wieder im milchigen Nichts. Baumgeister stehen Spalier. Der weiche Teppich unter unseren Füßen besteht aus einer Mischung rotbrauner und grüner Tannennadeln, wie ich sie noch nie gesehen habe.
„Die grünen Nadeln sind kein gutes Zeichen“, erklärt Willi, und holt mich wieder auf den Boden der Tatsachen. „Die Bäume sind vom Borkenkäfer befallen. Ihr Fraß unterbricht die Saftströme, deshalb fallen die Nadeln vorzeitig ab.“ Blöd für die Bäume, denke ich, aber dieser rot-grün melierte Läufer, ausgerollt zwischen den Stämmen, ist eine echte Augenweide. Kaum haben wir uns an federnde Schritte gewöhnt, erreichen wir felsige Passagen. Der Begriff „Klettervariante“, den ich unten an einem Schild am Rothaarsteig gelesen habe, erscheint mir zwar leicht übertrieben, aber einige Anstiege haben durchaus alpinen Charakter.
Schließlich treten wir aus dem Wald heraus und erreichen mit einer letzten Kraxelei die freiliegende Nordkuppe des Ginsterkopfes. Fernblick, wir können den Fokus auf unendlich stellen. Das ist der Modus, in dem sich die Augenmuskeln entspannen. Südwestlich ragen die Bruchhauser Steine, gewaltige Vulkan-Felsen, aus dem Wellenmeer der Baumkronen. Weiter westlich Elleringhausen und dahinter Olsberg, in nördlicher Ferne Brilon, helle Einsprengsel im Flaschengrün.
Willi trifft hier oben nur wenige Wanderer. „Wenn ich wirklich Stille suche, äußere und innere, dann gehe ich hierher. Beim Hochgehen fallen Alltagssorgen ab. Mit dem Blick in die Ferne komme ich auf ganz neue Gedanken.“ Deshalb ist das ein beseelter und beseelender Ort für ihn, auch wenn er, die nüchterne Sprache der Ingenieure gewohnt, ihn nicht so bezeichnen würde. Und deshalb sorgt er sich auch, die Stille könne verloren gehen, wenn nun die Hundertschaften zum Seelenort strömen. So wie es beispielsweise bei der traditionellen „Schnade“ der Fall ist. Einem jahrhundertealten Brauch folgend, gehen Briloner Bürger die Grenzen ihrer Stadt ab, einst ein Kontrollgang, ob das eigene Territorium ausreichend geschützt ist. Willi erscheint es befremdlich, wenn sich 3000 Spaziergänger auf dem Rothaarsteig drängeln, auch wenn er einer von ihnen ist. „Zum Glück führt die Schnade nur alle zehn Jahre hier auf den Ginsterkopf.“
Mir wird auf dem Ginsterkopf klar, wie eng Wege und die Orte, zu denen sie führen, zusammengehören. Stille hier oben kontrastiert mit Unrast unten im Tal. Die Erfahrung von Enge auf schmalen Pfaden steigert die Lust an der Weite. Die Leichtigkeit, die ich jetzt fühle, ist wie ein Echo des Anstiegs mit 90 Kilogramm Lebendgewicht. Gipfellicht erscheint heller, weil wir vorher durch Dämmer gegangen sind. So bereitet uns der Weg auf das Ziel vor.
Warum klettern Menschen überhaupt auf Berge? Die biologische Antwort: Der Über-Blick zeigt, wo Schutz und Nahrung zu finden ist, von wo Gefahr droht, wo der Weg weiter geht – er steigert die Lebenschancen. Eine pragmatische Antwort gab der neuseeländische Bergsteiger Sir Edmund Hillary, der zusammen mit einem Sherpa erstmals den Gipfel des Mount Everest (8848 m) bestiegen hatte. Warum er auf hohe Berge steige? „Weil sie da sind.“ Selbst auf dem so viel niedrigeren Ginsterkopf spüre ich, dass es auch eine spirituelle Antwort gibt. Auf einem Gipfel, so berichten viele Wanderer, kommen wir in Kontakt mit etwas Größerem, Weiteren, Gewaltigeren. Erhebung und Erhabenheit sind Verwandte, begleitet von Staunen und Stille.
Autor: Michael Gleich
Michael Gleich
Start Wanderparkplatz Schützenhalle Brilon-Wald oder ab dem Wanderparkplatz Feuereiche an Landstraße L743 zwischen Bruchhausen/Elleringhausen und Brilon-Wald
Wegbeschreibung ab Schützenhalle Brilon-Wald: Über die Qualitätstour „Brilon-Walder Gipfeltour“ führt die Wanderungen gut markiert mit dem Markierungszeichen BW1 und dem gelben „liegenden R“ – dem Zuweg zum Rothaarsteig, zur Feuereiche und weiter mit wunderbaren Fernblicken zum Ginsterkopf.
Wegbeschreibung ab Feuereiche: Sehr gut ausgeschildert und markiert folgt man dem „R“ (dem roten, liegenden R – dem Markierungszeichen des Rothaarsteigs) immer bergan und erreicht nach ca. 1 km den Ginsterkopf mit einer wunderbaren Fernsicht. Die Wanderung kann man anschließend über die Qualitätstour „Brilon-Walder-Gipfeltour“ weiterführen und erreicht den Ausgangspunkt, die Feuereiche wieder.
Außerdem besteht die Möglichkeit ein Stück auf dem Rothaarsteig, dem Briloner Kammweg oder dem Wanderweg BW1 zu wandern.
Weitere Infos erhalten Sie über die Tourist-Information Olsberg: Tel: 0 29 62 - 97 37 0, E-Mail: info@olsberg-touristik.de