Eslohe, Homertstr. 35 (51.26191 | 8.165718)
Hier passt nichts zusammen. Und das passt richtig gut. Klingt widersprüchlich? Genau darum geht´s. Um Widersprüche. Im Charakter jenes Mannes, der diesen Platz geprägt hat; im Geist eines jeden Menschen mit seinen unterschiedlichen Stimmen; als Herausforderung, an der wir manchmal verzweifeln.
Aber der Reihe nach. Ich stehe an einem sonnigen Apriltag auf dem Vorplatz des DampfLandLeute-Museums in Eslohe und denke an die schillernde Figur, die ihm architektonisch seinen Stempel aufgedrückt hat. Eberhard Koenig hieß der Besitzer der Kettenfabrik, aus der später das Museum wurde. Er hat das Unternehmen ein halbes Jahrhundert lang geleitet, wohnte 20 Jahre auf dem Gelände, seine Urne wurde 1981 neben dem Haus beigesetzt.
Wie bitte, ein Grab im Garten? Ist das überhaupt erlaubt? Eigentlich nicht. Wobei wir beim ersten Widerspruch wären. Koenig hatte Einfluss in Eslohe. Erfolgreicher Geschäftsmann, größter Arbeitgeber, vielfältiger Wohltäter. Aus dieser Position heraus gestattete er sich Freiheiten, die man Normalbürgern schwer übelgenommen hätte. Dazu gehörte auch, dass er, der reiche Fabrikant, sich einen Blaumann anzog, in der Produktion aushalf und am Feierabend mit seinen Arbeitern gerne einen trank. Oder auch ein paar Glas mehr. Bis zu einer ernsthaften Erkrankung. Dann schwenkte er komplett um und wurde Abstinenzler. Zufall, dass er, der sich vorher mit Ideen trug, das Unternehmen seinen Arbeitern zu übereignen, sich nun von ihnen distanzierte und sich fortan als eigenbrötlerischer Patriarch aufführte?
Ich schaue mich auf dem Vorplatz um. Im Sammelsurium der Baustile spiegelt sich Koenigs ambivalente Persönlichkeit. Weißgestrichene Arkaden erinnern an klösterliche Kreuzgänge, haben aber keine andere Funktion, als das Gelände zu begrenzen. Das Wohnhaus spielt mit dem Gegensatz zwischen Schlichtheit der 1960er Jahre und – durch einen Rundturm – monarchischem Glanz. Die Fenster der angrenzenden Werkstatt hätten auch einer Kirche gut angestanden. Das zweiflüglige Tor zur einstigen Werkhalle wirkt nicht industriell, sondern sieht mit seinem grünweißen Rautendekor wie ein typisch sauerländisches Scheunentor aus. In direktem Kontrast steht daneben eine alte, sorgfältig restaurierte Werkslokomotive mit Dampfantrieb. Im Wassergraben oberhalb der Halle beißen sich die Spiegelungen des alles überragenden roten Fabrikschornsteins mit dem schwarz-weißen Fachwerkmuster einstiger Arbeiterhäuser. Frei nach einem bekannten Buchtitel: Was ist das für ein Ort, und wenn ja, wie viele?
Die Morgensonne wärmt. Ich setze mich auf eine Bank neben dem Fabrik-Scheunen-Tor, vor mir ein Teppich knallgelber Löwenzahn-Blüten, und denke über Widersprüche im eigenen Leben nach. Irgendwie scheint es meinem Verstand mühelos zu gelingen, dass ich auf einem Flug nach Südafrika über Klimaschutz nachdenke; dass ich auf dem Rückweg vom Bioladen noch einen Fast-Food-Hamburger esse; dass ich mich über die „Scheiß-Arroganz von diesem Kollegen…“ beklage – und nicht merke, wie überheblich ich in diesem Moment selbst bin. Im Kopf geht das alles prima zusammen. So wie auf dem Platz vor mir.
Eberhard Koenig, der sich für seine Weltreisen die Außenkabine auf luxuriösen Kreuzfahrtschiffen hätte leisten können, fuhr stattdessen als Heizer in Handelsschiffen, etwa nach China. Erst Ausschweifung, dann Askese. Erst reicher Sympathisant sozialistischer Ideen, dann misstrauischer Fabrikherr. Auf der einen Seite ein Anpacker mit ölverschmierten Händen, auf der anderen ein schöngeistiger Denker, der den Schriftsteller Günter Grass zu politischen Plaudereien empfing.
Als er starb, hielt mysteriöserweise das Wasserrad neben seinem Haus an. Jahrzehntelang war es von der vorbeifließenden Salwey verlässlich gedreht worden. Ein letzter unbegreiflicher Moment. Koenig hinterließ der Gemeinde eine Stiftung mit Millionenkapital, den Technikinteressierten eine einzigartige Sammlung von Dampfmaschinen und dazu einen Seelenort voller Widersprüche und Spannungsbögen. Er lädt zum Nachdenken ein, warum wir Menschen uns mit unseren inneren Gegensätzen selbst nie ganz erklärlich werden. Dazu hat Koenig einen weisen Satz hinterlassen. An einer der Arkaden ließ er eine Kupferplatte anbringen, deren Inschrift mit grünlicher Patina überzogen ist: „Tadle nicht, was du nicht begreifen kannst.“
Autor: Michael Gleich
Michael Gleich
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