Die Berge um Willingen sind nicht nur besonders hoch. Bei einer Wanderung vom Ettelsberg zum Kahlen Pön kommt der Wanderer durch offene Heidelandschaften, die viele im Sauerland gar nicht vermuten. Im Mittelalter prägten sie einmal die ganze Region. Heute kostet es viel Mühe, die letzten dieser außergewöhnlichen Naturräume zu erhalten.
Ettelsberg - Neuer Hagen - Kahler Pön, das ist meine Wanderroute durch die Sauerländer Heide. Durch seine Nutzung der Bergkuppen hat der Mensch in Jahrhunderten eine Naturlandschaft geschaffen, die heute streng unter Schutz steht.
Von der Heidenstraße habe ich schon in mehreren der Sauerland-Wanderdörfer gehört. Dieser mittelalterliche Hauptverkehrsweg führte von Köln nach Leipzig durch Orte wie Wormbach, Oberkirchen, Küstelberg und Medebach. Pastor Ulrich Stipp aus Schmallenberg-Oberkirchen hatte mir dazu schon einiges mit auf den Weg gegeben: „Wer bei dem Namen Heidenstraße an eine Straße in die Welt der Heiden, der Ungläubigen, denkt, ist auf dem Holzweg. Die Heidenstraße war die Straße durch die Heidelandschaften, die damals das Sauerland prägten. Schon im frühen Mittelalter haben die Menschen die Wälder gerodet und zu Holzkohle verarbeitet. Die freien Flächen wurden dann aus Viehweide genutzt. Der Wald kam erst im 19. Jahrhundert zurück.“
Nirgends sonst im Sauerland gibt es noch so viele Heideflächen wie auf den Bergkuppen rund um Willingen. Und nirgends sonst ist der Aufstieg auf die höchsten Berge des Sauerlandes so bequem: Von Willingen fahre ich mit der modernen Kabinenseilbahn auf den Ettelsberg zum Aussichtsturm. Der Hochheideturm mit seinem komfortablen Aufzug im Inneren spiegelt sich in dem Teich, aus dem im Winter die Beschneiungsanlagen mit Wasser versorgt werden.
Auf durchschnittlich 800 Höhenmetern führt mich mein Weg durch die Wälder um den Hegekopf zur größten Hochheide des Sauerlandes: dem Neuen Hagen. An der Hoppecke Quelle treffe ich auf eine Schafherde mit Schäferin. Samantha Josefin Dirks kann mir einiges über die Heide, ihre Entstehung und ihren Erhalt erzählen: „Das war vielleicht eine Plackerei, als diese Landschaft entstanden ist. Im Herbst hat man auf den Bergheiden mit kleinen Hacken die Grassoden abgetragen. Das nannte man Plaggen und daher kommt übrigens auch der Begriff Plackerei. Das Zeug hat man als Wintereinstreu für die Ställe benutzt. Im nächsten Frühling war es dann so richtig gut durchmischt mit Kuhdung - ein prima Dünger für die Felder im Tal. Hier oben verarmten die Böden auf diese Weise natürlich auf die Dauer.“ So sind die Heidelandschaften entstanden, in denen heute im August das Heidekraut blüht - ein Naturschutzgebiet, in dem der Mensch ständig Hand anlegen muss. „Der Wald will die Bergkuppen zurückerobern,“ erklärt mir die Schäferin. „Wir müssen die Büsche entfernen und manchmal auch plaggen - das Wichtigste ist aber, dass wie in alter Zeit Tiere auf der Heide grasen. Nur so bleiben die Pflanzengemeinschaften erhalten. Rein wirtschaftlich lohnt sich die Schäferei schon lange nicht mehr, schon gar nicht mit so einem lustigen Mix aus historischen, heute selten gewordenen Schafrassen. Ich habe Heidschnucken, Bergschafe, Suffolk, Isle de France und ein paar Ziegen in meiner Herde - insgesamt ungefähr 800 Tiere. Wir werden dafür bezahlt, dass wir hier zu dieser Jahreszeit Landschaftspflege betreiben.“
Wie beruhigend ist es doch, im Tempo der Schafe über die Heide zu ziehen, zu plaudern oder zu schweigen, zu lauschen und auch zu schmecken. Zu unseren Füßen sind Millionen von Blaubeeren reif. Als ich eine Hand voll pflücke, erzählt mir die Schäferin, dass sich die Blaubeerpflücker oft über die Schafe ärgern, die genau zur Zeit der Reife über die Heide streifen. „Aber ohne unsere Schafe hätten die Blaubeerpflücker bald nichts mehr zu pflücken,“ erklärt mit die Schäferin. „Die Tiere beißen die Spitzen der Sträucher ab. Die haben dann ,Angst‘ auszusterben und produzieren im nächsten Jahr mehr Beeren. Außerdem fressen die Schafe auch Blaubeeren, nehmen damit die Samen der Pflanze auf und lassen sie woanders - schön eingepackt in guten Dünger - wieder fallen. Die Schafe verjüngen die Heide und erhalten sie am Leben. Ohne Schafe zu dieser Jahreszeit gäbe es in ein paar Jahren keine Blaubeeren mehr und bald auch kein Heidekraut. Erst kämen die Büsche und später die Bäume.“
Über den Uplandsteig, der auf 64 km Willingen umrundet, geht es weiter zur nächsten Heide auf dem Kahlen Pön. Eine abendliche Brotzeit gönne ich mir in der Graf-Stolberg-Hütte auf dem Knoll. Einen großartigen Ausblick über die benachbarte Medebacher Bucht bekommt man hier zu den regionalen Bioprodukten kostenlos dazu.
Zum Sonnenuntergang stehe ich schließlich genau auf der Grenze zwischen Hessen und Nordrhein-Westfalen am Rande der Heide auf dem Kahlen Pön. Der Ausgangspunkt meiner heutigen Wanderung ist am Horizont immer als klarer Orientierungspunkt zu erkennen: der Hochheideturm auf dem Ettelsberg. Fast genau dahinter versinkt die Sonne im Dunst und lässt honigfarbenes Licht über die Heide fließen.
Klaus-Peter Kappest