Kyrill-Pfad

Schmallenberg-Schanze (51.129212 | 8.37834)

Tod und Neugeburt

Ca. 1 km langer Pfad über Stege und Leitern durch eine seit den Zerstörungen durch ›Kyrill‹ 2007 nicht geräumte Sturmfläche

Ein Friedhof, mitten im Wald. Am Morgen des 19. Januar 2007 türmten sich hier die Baumleichen bis zu zehn Metern hoch. Sie lagen kreuz und quer übereinander. Umgelegt von jemandem, den sie auf deutsch „den Herrlichen“ nannten. Auf griechisch heißt er Kyrill. Der Wintersturm fegte mit Windstärken von bis zu 225 Kilometern in der Stunde durch Europa. Auch im Sauerland verwüstete er riesige Waldflächen. Am stärksten betroffen waren Flächen mit Fichten: Sie wachsen zwar schnell, wurzeln aber nur flach im Boden. Kyrill hatte leichtes Spiel.​

Stefan Knippertz nahm sich einige Wochen nach dem Orkan zwei Rollen rot-weißes Absperrband, jeweils 500 Meter lang, und schlug sich ins Dickicht. „Ich war der kleinste unter den Rangern, also wurde ich ausgeguckt, um zwischen den Baumstämmen durchzukriechen und mit dem Band einen Pfad zu markieren,“ erinnert er sich und muss grinsen. Gemeinsam wandern wir über jenen schmalen Weg, dessen Verlauf er damals auf allen Vieren festlegte. Knippertz ist angestellt beim Landesbetrieb Wald und Holz. Er und seine Kollegen sahen nach dem Sturm eine einmalige Chance: „Wir wollten zeigen, was passiert, wenn so eine Fläche sich selbst überlassen wird. Was wächst dort, wenn der Mensch sich raushält?“ Sie konnten das staatliche Forstamt überzeugen, für 3,5 Hektar auf den Holzertrag zu verzichten, immerhin einige zehntausend Euro. „Bei Privatbesitzern wäre das nicht möglich gewesen.“

Auf exakt einem Kilometer windet sich der Pfad. Kriechen muss heute niemand mehr, die Besucher können durch Schneisen, über Stege und kleine Brücken wie durch ein Naturkundemuseum flanieren. An Spitzentagen kommen bis zu 1000. Knippertz erklärt mir, in welchen Wellen die Sturmfläche wiederbesiedelt wurde. Die ersten, die sich trauten, waren Blumen und Stauden wie Fingerhut und Waldweidenröschen. Dicht gefolgt von Büschen wie Holunder und Brombeere. Letztere ist besonders aggressiv, die macht andere platt. Das Ganze ist ein Kampf um Licht und Wasser. Dann folgten die Pioniere unter den Bäumen – Vogelbeeren, Birken, Weiden, natürlich auch Fichten. Ein Wettwachsen um die besten Plätze an der Sonne setzte ein. Wer schneller nach oben schießt, stellt andere in den Schatten. Birken und Fichten machten zunächst das Rennen. Aber jetzt, nach elf Jahren ohne Axt und Säge, hat sich ein Gleichgewicht eingependelt. Knippertz‘ Augen leuchten, wenn er von einem Hochstand aus über den neuen Wald blickt: „Ist das nicht ein Wunder, wie reich an Pflanzen- und Tierarten er ist?“ Kyrill hat für kreatives Chaos gesorgt.

Und, sind die Forstbesitzer aus dem Sturmschaden klug geworden? Knippertz schüttelt den Kopf. Dann antwortet er: „Wahrscheinlich nicht alle, da müssen wir noch ein wenig Überzeugungsarbeit leisten! Wir haben geraten, mit standortgerechten Baumarten wie der Buche aufzuforsten. Dafür gab es sogar Fördergelder. Aber viele haben sich für schnelles Wachstum entschieden. Also doch wieder Fichten – mit hohem Risiko.“ Der nächste Orkan kommt bestimmt.

Während wir weitergehen, frage ich mich, was den Kyrill-Pfad zu einem Seelenort macht. Mich inspiriert er, über Tod und Neubeginn nachzudenken. Über die eigene Vergänglichkeit. Über die Tatsache, wie kurz die menschliche Lebensspanne im Vergleich zum langen Atem der Natur ist. Darüber, dass manches, was auf den ersten Blick wie Ende und Aus wirkt, in Wirklichkeit eine Wandlung ist, ein Übergang zu etwas Neuem. Leben, das aus einem Tod geboren wird. Ein Augenzwinkern in der Ewigkeit. Knippertz zeigt auf einen Stamm zu unseren Füßen. „Noch fünf Jahre, und der ist komplett verrottet. Im Inneren sind Baumpilze am Werk, ihn zu zersetzen.“ Er zeigt auf eine tellergroße Ausbuchtung außen am Holz: „Das ist nur der sichtbare Fruchtkörper. Innen im Stamm ist ein Pilz mit einem gigantisch großen Geflecht am Werk.“ Moose und Pilze, Sonne und Regen sind die nimmermüden Transformatoren. Sie verwandeln Bäume in Erde und Erde in Nährboden für künftige Bäume.

Am Ende des Pfades führt der Ranger mich zu seinem persönlichen Highlight im Freiland-Labor. Er zeigt auf eine Fichte, die am Boden liegt. An der Oberseite ist die Rinde aufgeplatzt. „Sonnenbrand,“ erklärt er. Aber die Krone des Baumes besteht aus dunkelgrünen, dicht benadelten Zweigen, an den Spitzen sprießt und knospt es hellgrün. „Der will noch was“, sagt Stefan Knippertz, „der will unbedingt leben. Und der wird das auch schaffen.“

Autor: Michael Gleich

Life born from a death. A wink in eternity.

Michael Equal

The Kyrill-Pfad is best reached from:

Start hiking parking lot Schanze at the entrance of Schanze: from here you walk about 800 m along the WaldSkulpturenWeg. The Kyrill-Pfad is located behind the ranger station on the left side.

From here you can also hike the audio trail on the Rothaarsteig - Buchenwald forests around Schanze - or via the Waldskulpturenweg (forest sculpture trail) to Bad Berleburg, or you can hike a bit on the Rothaarsteig.

For further information please contact the Schmallenberg Sauerland Tourism: Tel: 02972/9740-0, E-Mail: info@schmallenberger-sauerland.de

Did you know...?

The power of change can be experienced particularly well in the broken wood area: Young plants, cypress sleeping moss and cup lichen are conquering their habitat.

The Kyrill-Pfad, that is a chaotic coexistence. That's how it appears at first glance, but, if you look closely, everything is orderly.