Schmallenberg-Wormbach, Alt Wormbach 2 (51.167282 | 8.257041)
Wer ins Gotteshaus will, muss über den Friedhof. Und der ist quicklebendig. Seine Umfassungsmauer mit ihren Spalten und Nischen ist ein Biotop für Moos und Mauerbrecher, Tüpfelfarn und Steinkraut. 300 Jahre alte Linden stehen wie andächtig im Kreis. Ein Feuersalamander kriecht in Zeitlupe zu seinem Platz an der Sonne, die erste wärmende Strahlen schickt. Sie verlängert die Holzkreuze, die in fein abgezirkelten Reihen stehen, um lange Schatten. Jetzt, bei Sonnenaufgang, wird augenfällig, dass alle Gräber nach Osten ausgerichtet sind. Sie liegen nicht auf einem Gottesacker außerhalb des Dorfes, sondern direkt neben der Kirche. Die Toten und die Lebenden sind Nachbarn. Schlichte Eleganz auf den Gräbern: Einst beendete ein Pfarrer den Schönheitswettbewerb, welcher Bauer den dicksten Grabstein habe, und ordnete einfache Holzkreuze an. Jeder, ob arm oder reich, hat sich einzureihen. Vor dem Tod sind alle gleich.
Zwischen den Gräbern erhebt sich ein Lebensbaum, wie ein Symbol für friedliches Miteinander von Leben und Tod. Am Ostersonntag 1945, einem der letzten Kriegstage, als die Kirche vollbesetzt war, betätigte sich der Baum als Lebensretter. Ein Flugzeug der Alliierten warf eine 500 Kilogramm schwere Bombe ab. Sie traf den Baum, sein Geäst federte die Sprengladung ab. Sie landete in der weichen Erde zwischen zwei Gräbern, ohne zu explodieren. Auch der Lebensbaum überlebte. Die Kriegsverletzung macht er heute mit gleich drei Spitzen wett.
Johannes Tigges ist als Junge jeden Tag über den Friedhof gegangen, der auf dem Weg zur Schule lag. Ende der Fünfziger Jahre erregten hohe Gerüste in der Kirche seine Neugier. Maler und Künstler hantierten unter dem Kreuzgewölbe. Eines Tages winkten sie ihm, er durfte hochklettern. Er wurde Zeuge, wie mit feinen Spachteln Farbe abgetragen wurde. Darunter kam das Symbol der Waage zum Vorschein. Ein magischer Akt. „Damals hat mich diese Kirche gepackt“, erinnert sich Tigges. Seit mehr als 20 Jahren führt er Menschen durch die Kirche St. Peter und Paul, erzählt von wahren Begebenheiten und großen Geheimnissen.
Erwiesen sei, dass die jetzige Kirche um 1250 gebaut wurde. Spätromanischer Baustil, erdfarbene Ausmalungen. Es habe aber viel ältere Vorgänger am gleichen Platz gegeben. Und schon führt die Spur auf unsicheres Terrain: Stand in Wormbach die Urkirche des Sauerlandes? Ein Holzbau, errichtet durch den Missionar Bonifatius im achten Jahrhundert? War hier schon zu keltischen Zeiten ein Kraftort? Kann sein: „Damals war das Motto der Missionare: Baut die Kirchen auf die Kultstätten der Germanen.“ Schlauer Schachzug, heidnische Plätze christlich umzudeuten und deren Kraft weiter zu nutzen.
Seit dem Erlebnis auf dem Malergerüst faszinieren Johannes Tigges die zwölf Tierkreissymbole. Er vermutet einen Einfluss der Benediktiner aus dem nahen Kloster Grafschaft. Zu deren Wissensschatz gehörten astronomische Kenntnisse. Vielleicht haben sie sogar selbst den Pinsel geführt. Die Sternenbilder scheinen eine Botschaft zu verkünden. Sie sind auf eine Weise angeordnet, die vermuten lassen, es handle sich um eine Art Kalender. Mithilfe des Sonnenstandes und des Lichteinfalls durch die Fenster habe man das Datum des wichtigsten christlichen Festes, Ostern als beweglichen Feiertag, ablesen können.
Seit alters liegt die Kirche am Kreuzpunkt wichtiger Routen. Auf den so genannten Totenwegen wurden Leichname teilweise über viele Kilometer transportiert, um sie in Wormbacher Erde zu begraben. Auf der Heidenstraße, die von Köln bis Kassel führte, drangen die christlichen Bekehrer ins Germanengebiet vor. Heute ziert die gelbe Muschel auf blauem Grund weite Strecken dieser Route, Symbol für den Jakobsweg.
Was ist dran an all den Spekulationen und Rätseln? „Für mich ist erwiesen, dass Wormbach schon in vorchristlicher Zeit ein ganz wichtiger Platz war.“ Kultstätte, Kreuzungspunkt, Kulturgut, heute als „Seelenort“ identifiziert. Johannes Tigges berichtet von einem spirituellen Erlebnis, das er kürzlich in der Kirche hatte. „Mit vier anderen habe ich mich spätabends in eine der Bänke gesetzt. Bis auf das Ewige Licht war es stockdunkel. Wir hatten verabredet, eine halbe Stunde lang nicht das kleinste Geräusch von uns zu geben.“ Er staunt noch heute, was dann geschah. Allmählich schälten sich die Konturen der Pfeiler und Gewölbe aus der Schwärze, „die Kirche wurde hell im Dunkeln.“
Beim Spirituellen Sommer kamen in der Kirche neben Christen auch Buddhisten, Juden, Hindus und Muslime zusammen. Sie sprachen über die Bedeutung des Lichts in der jeweiligen Religion. „Das waren wundervoll einträchtige Momente, ich fand das stark.“ Ich erlebe Johannes Tigges als einen dieser toleranten, einladenden Erzähler, die Seelenorte zum Leuchten bringen können. Es braucht Hintergrundwissen, um einen solchen Ort zu verstehen. Aber es darf auch ruhig etwas offen bleiben. Unbeantwortete Fragen. Ein paar Geheimisse. Ungelöste Rätsel. Das gibt der Fantasie Raum zum Spielen.
Michael Gleich
Schützenplatz, Schmallenberg.
From the Schützenplatz, walk across the Werper Kreuz in the direction of Werpe and Felbecke. From there, the tour leads you via the Rennefeld airfield back to the Schmallenberg town center.
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