Alte Grimme and St. Bonifatius

Winterberg-Elkeringhausen (51.199854 | 8.584940) (51.200552 | 8.563437)

Ganz sein

Vom Gipfel der „Alten Grimme“ zum Gelände vom Bildungs- und Exerzitienhaus St. Bonifatius mit Gästehäusern, Wiesen, altem Baumbestand, Kapelle, Zeltkirche und Übergang zum Städtischen RuheWald.

Wandern und Spiritualität sind nahe Verwandte. Warum ist das so? Beim bewussten Gehen bewegen wir uns nicht nur körperlich. Auch innerlich gehen wir Schritte. Können wir Fragen klären. Erwandern wir Neues. Etwa im Moment des Aufbruchs: Bin ich bereit loszulassen? Unterwegs: Bin ich offen für das Unvorhergesehene? Am Ziel: Bin ich bei mir selbst angekommen? Seit der Romantik, als das absichtslose Gehen in der Natur aufkam, sehen Künstler und Philosophen in einer Wanderung ein starkes Sinnbild unseres Lebenswegs. Er beginnt mit der Geburt, dann krabbeln wir eine Weile, richten uns auf, machen Lernschritte, vergrößern den Radius, bewegen uns und rasten, bis wir am Ziel angekommen sind, das ­– je nach Glauben – Endstation oder der Beginn einer neuen Seelen-Wanderung ist.

Beim Gang über das Gelände von St. Bonifatius kann ich Lebensstationen ablaufen. Ich beginne auf dem Gipfel der Alten Grimme, 755 Meter hoch. Das Holzkreuz, nachts hell beleuchtet und weithin sichtbar, markiert kein Ende, sondern einen Anfang, einen Geburtsvorgang. Erstmalig wurde es 1935 aufgerichtet, aus Dankbarkeit dafür, dass St. Bonifatius als Bildungsstätte gegründet werden konnte. Der Initiator, ein Studentenpfarrer, hatte damals hier oben die Vision eines kleinen Dorfes, mit mehreren Häusern und einer Kapelle. Er wollte einen Ort der Besinnung und echter Begegnung. Vom Kreuz aus habe ich das gesamte Areal im Blick. Der Traum des Pfarrers ist Wirklichkeit geworden. Mein Blick wird angezogen von einem Labyrinth in der Mitte des Anwesens. Da will ich hin.

Den Abstieg erlebe ich als den steilsten, den ich im Sauerland kenne. An einer Stelle ist er sogar mit einer Kette gesichert, und das ist auch gut so. Ein Weg, der herausfordert. Wieder so ein Sinnbild: Nur wenn ich etwas riskiere, komme ich weiter. Die Belohnung stellt sich unmittelbar ein, denn der Kraxelsteig führt durch wunderschöne Waldstücke, mit Buchen, Eichen und Eschen, die ein göttlicher Designer als charakteristische Einzelstücke geformt hat. Es geht steil an einem Schlepplift hinab, über den Bach Orke, hin zu den Fachwerkhäusern mit den fürs Sauerland typischen grauen Schieferdächern.

Dann stehe ich vor dem Labyrinth. Es ist kein Irrgarten, in dem man sich verirren könnte. Auch ist der Mittelpunkt schnell gefunden. Es geht um etwas anderes. Labyrinthe gehören zu den ganz alten Symbolen der Menschheit. Im Christentum stehen sie für die Einkehr. Der Weg von außen ins eigene Innere und wieder zurück in die Welt. Mein eigenes Leben kommt mir manchmal auch labyrinthisch vor. Viele Abzweigungen. Viele Entscheidungen zu treffen. Was ist die richtige? Wäre eine andere Richtung nicht doch besser gewesen? Unsicherheit ist meine ständige Begleiterin. Keine angenehme, aber mittlerweile habe ich sie als Weggefährtin akzeptiert. Schließlich bringt sie mich immer wieder zum Nachdenken darüber, ob ich noch auf der richtigen Spur bin. Entscheiden und die Folgen tragen: Im Labyrinth kann ich erwachsen werden.

Nächste Station meiner spirituellen Wanderung ist die Kapelle. Warme Farben, zwei große Kerzen brennen links vom Altar, der wohnlich aussieht wie ein uralter Esstisch. Rechts davon eine Lebensbaum-Skulptur. Eindeutig die Mitte des Raumes ist eine ganz ungewöhnliche Jesus-Darstellung. Die Körperhaltung des Heilands ist die von der Kreuzigung bekannte: die Beine zusammen, die Arme gestreckt. Aber… es gibt kein Kreuz. Nur den Körper. Auf diese Weise drückt die Figur beides aus, Leiden, aber auch Liebe und das Empfangen des anderen mit offenen Armen. Wieder wird eine Entscheidung fällig: Will ich mich auf meiner Lebensreise auf beides einlassen? Bin ich demütig genug, mich Kräften zu beugen, die definitiv stärker sind als ich?

In Sachen Demut gibt es einen Lehrmeister, den ich als nächstes aufsuche. An der Zeltkirche vorbei, die Menschen von weit her für Gottesdienste anzieht, führt der Weg in den RuheWald, der nördlich an St. Bonifatius grenzt. Leichter Regen setzt ein. Er lässt die hellen Holzhackschnitzel, mit denen die schmalen Wege gepolstert sind, noch heller glänzen. Als Friedhof zeigt sich das Buchenwäldchen erst auf den zweiten Blick. An den Stämmen sind dezent kleine silberfarbene Schilder angebracht, in die Namen und Sterbedaten eingraviert sind. Als ich zwischen den Bäumen flaniere, stoße ich auf Zeichen, dass Menschen immer wieder zum Gedenken an Verstorbene hierher kommen. Eine frische rote Rose wurde in dunkelgrünes Moos gebettet. Zwischen Wurzelarmen lehnt ein weißes Engelsfigürchen. Ein Stern aus Holz am Fuße einer mächtigen Eiche. Fast wäre ich auf das Kreuz getreten, das wie getarnt in die dichte, rotbraune Blätterschicht am Boden gesteckt worden ist. Zwei Äste, mit einer Schnur verbunden, mehr nicht. Das Kreuz wirkt urtümlich, urchristlich, seine Einfachheit berührt mich sehr.

Dieser Wald vereint. Das Lebendige mit dem Tod. Die Trauer mit dem Trost. Das Einfache mit dem Höchsten. Ein Ort, an dem ich mich als ganzer Mensch fühle.

Autor: Michael Gleich

A place where I feel like a whole person.

Michael Equal

The Alte Grimme and St. Boifatius are best reached from:

The bus stop or hikers' parking lot in the center of Elkeringhausen opposite the Haus des Gastes. Here you start in the direction of the Grimme on the Elkeringhausen summit tour.

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